SPIELART 2015

Die Windmühlenzauberer  

 

CASSIDY ist Doku-Theater am Rande der Vernunft, mit erstaunlich realen Recherche-Ergebnissen aus der Geschichte des Kalten Kriegs: Es geht um den „Kongress für kulturelle Freiheit“, über den die CIA Festivals, Zeitschriften und Verlage mit Geld versorgte. Der „Kulturkampf“ ist ein kaum bekanntes Thema, weder von Links noch Rechts ausgeschlachtet, weil beide Seiten hier miteinander in unangenehme Berührung kamen. Im Foyer der Schauburg sitzen Ulrich Eisenhofer und Benno Heisel, die Leitung des Projekts, sowie die beiden Dramaturginnen Ute Gröbel und Lea Kappl. Ein Gespräch über unsichtbare und sichtbare Netzwerke.   

 

"Who Paid the Piper?" heißt das Standard-Werk zu den Tätigkeiten der CIA im Kalten Krieg. Wer lässt den Wind blasen?

„Who Paid the Piper?“ heißt das Standard-Werk zu den Tätigkeiten der CIA im Kalten Krieg. Wer lässt den Wind blasen?

Ihr präsentiert eure Recherche-Ergebnisse aus der Sicht des fiktiven Kulturkritikers Emil Kazdy alias Cassidy. Gab es für den eine Vorlage?

Lea Kappl: Es gibt ein großes Vorbild: Don Quijote! Der lebt ja auch in einer Welt, die vorbei ist und kämpft für Ideale, die längst obsolet geworden sind. Aber andererseits trägt er in seiner Welt ja in gewisser Weise den Sieg davon.

Benno Heisel: Bei der Auseinandersetzung mit Geheimdiensten muss Paranoia – oder paranoische Vernunft – Teil der Diskussion sein. Je unsichtbarer die Wirkungsweisen dieser Art von Macht sind, desto klarer wird das Denksystem über sie werden, und desto paranoider. Daher Don Quijote als Grundlagentext: Seine klare Überzeugung, dass die Welt anders sein muss als er sie wahrnimmt. Aber umgekehrt, sobald du Ritter bist, kommen Zauberer und verwandeln die Welt um dich. Du kannst nicht Ritter sein und kämpfen und aktiv sein, ohne dass die Welt dadurch anders aussieht als sie ist.

 

Lea Kappl heißt eigentlich Dominique Lea Kappl und ist Dramaturgin des Stücks

Lea Kappl

Habt ihr wieder so einen riesigen Materialaufwand betrieben wie damals für „Artefakt“, als ihr ein komplettes Schattentheater aus der Epoche der Romantik nachgebaut habt?

Benno Heisel: Anders. Jetzt haben wir uns expliziter auf diesen Konnex Politik und Kunst geworfen. Es gibt eine Collagen-Ebene im Video, die nur die Bilddokumente und ein paar der Text-Dokumente aus unserer Recherche-Arbeit zusammengeführt hat. Und allein diese Collage hat so circa 800 Quellen. Da überschneiden sich unsere eigene Arbeit und die unserer Hauptfigur.

Ute Gröbel: Und was bei Cassidy noch dazukommt, ist die Arbeit an der Sprache. Das Experimentieren nicht nur mit verschiedenen Sprachformen und Arten zu erzählen, sondern auch mit verschiedenen politischen Narrativen.

Benno Heisel: Da ist das Monologische natürlich das, wo man ansetzen muss. Darauf mussten wir uns einlassen, als wir uns für das paranoische Erzählen entschieden haben. Es muss also ein einzelner Körper sein, der eine einzige Welt erzählt, in die allerdings über die Dokumente verschiedenste Arten zu erzählen einbrechen.

 

Benno Heisel ist Teil des Theaterkollektivs Fake[to]Pretend und gehört zum Leitungs-Duo von CASSIDY

Benno Heisel

Worauf zielt ihr mit der paranoischen Perspektive ab?

Benno Heisel: Das ist zunächst mal die Form der Auseinandersetzung mit Geheimdiensten, die man sehr häufig findet, zum Beispiel in Actionfilmen. Nämlich die magische Erzählweise dieser Welt, die natürlich totaler Blödsinn ist. Oder aber, im Fall des BND, gibt es auch dieses Narrativ, in dem das alles als völlig verstaubt und irrelevant dargestellt wird. Und beides trifft den Sachverhalt nicht. Wenn es in Richtung Verschwörungstheorie geht, ist das natürlich Gift für alle Wahrheitssuchenden, die an einer ernsthaften historischen Auseinandersetzung interessiert sind. Andererseits ist diese Welt, die Kazdys Angst ihm eingibt, und die ihn zunehmend zu einem rasenden Wahnsinnigen macht, das, was wir tatsächlich in den Dokumenten gefunden haben.

Lea Kappel : Da gibt es diesen Satz. Are you paranoid, if they’re really after you? Und das ist natürlich auch eine sehr interessante Perspektive für die Bühne. Weil man permanent gezwungen ist, seine eigene Wahrnehmung zu hinterfragen.

Schon die Art eurer Bewerbung für die Teilnahme bei Spielart bezog sich ja auf das Thema des Stücks, nämlich welche Kunst aus ideologischen Gründen erwünscht ist und bezahlt wird. Ihr habt daher nicht einen, sondern gleich zwei Entwürfe als Alternativen eingereicht. Womit ihr natürlich die Frage stellt, was denn in diesem Fall erwünscht ist.

Benno Heisel: Ja, das ist auf jeden Fall eine Ebene, die man sehr gut durch den Abend hindurch lesen kann. Und natürlich ist es auch eine Dokumentation unseres Herstellungsprozesses, die man auf der Bühne zu sehen bekommt.

Es klang für mich auch so, als sei diejenige der beiden Arbeiten genommen worden, die dieses Meta-Diskursive stärker betont. Kann man das so sagen?

Ute Gröbel: Ja, da kommen wir zum Thema: Welche freie Kunst erwünscht wird und welche nicht. Ich sag nicht, dass es nicht in unserem Interesse war, dass genau dieses Stück gewählt wurde. Es wurde einfach entschieden, nach gewissen Richtlinien. Und die erkennt man natürlich in der Entscheidung wieder.

Ulrich Eisenhofer: Wir haben diese zwei Anträge aber auch nicht gestellt, um das zu kritisieren, wir wollten es einfach nur thematisieren. Aber es ist natürlich eine spannende Sache, und danach interpretiert man. Ob jetzt dieses Multimediale zum Beispiel mehr gefragt ist. Es sagt vielleicht viel aus – aber vielleicht auch nicht…

Ulrich Eisenhofer hat mit Benno Heisel bereits bei "Die nötige Komödie" und "Artefakt" zusammengearbeitet. Er bildet die zweite Säule der Projekt-Leitung.

Ulrich Eisenhofer

Man wird also selbst ein bisschen paranoid? Dieses Thema der Finanzierung von Stücken, das Getriebe des Kulturbetriebs und so weiter, damit werdet ihr euch ja nun auch praktisch bald viel stärker auseinandersetzen müssen. Ute, Benno und Uli, ihr werdet zusammen mit Susanne Weinzierl als Geschäftsführerin die Leitung des i-camp übernehmen. Wo wollt ihr eure Akzente setzen?

Ute Gröbel: Was wir vor allem festgestellt haben, ist, dass das Netzwerk in der freien Szene in München noch ausbaufähig ist. Wir wollen also Leute in Diskurs-Formaten und Workshops zusammenbringen, die sich sonst vielleicht nur vom Sehen kennen und sie zusammen arbeiten lassen. Überhaupt ist die freie Szene längst nicht so sichtbar wie sie sein könnte, auch fürs Publikum. Da muss noch viel Vermittlungsarbeit passieren, damit auch der normale Theaterzuschauer die Möglichkeit hat, Künstler länger zu verfolgen, die hier frei arbeiten, und überhaupt auch zu sehen: wie funktioniert eigentlich freies Produzieren?

Benno Heisel: Die Stärken des alten i-camp bauen auf einer anderen Zeit auf, als der Freiraum als solcher das Problem war, dass es überhaupt so einen Ort gibt. Das heutige Grundproblem sehen wir eher in den Arbeitsbedingungen.

Ute Gröger ist ebenfalls Teil von Fake[to]Pretend und zusammen mit Lea Kappl für die Dramaturgie bei CASSIDY verantwortlich. Auf dem Foto Melvon Lasky, Verleger der anti-kommunistischen Zeitschrift "Der Monat"

Ute Gröger. Das Foto zeigt Melvin Lasky.

Ute Gröbel: Dass es, anders als in anderen Städten, hier kein großes Produktionshaus gibt, hat eben auch seine Folgen….

Benno Heisel: …also ein Haus ohne eigenes Ensemble, das aber ein Team hat, an das man andocken kann, und nicht nur freie Mitarbeiter für die jeweilige Produktion hinzuholt.

Ulrich Eisenhofer: Es gab ja bis vor kurzem noch die Meinung, eine freie Szene in München, die gibt es halt nicht. Klar, da braucht man dann auch nicht über ein freies Produktionszentrum sprechen. Aber das stimmt natürlich nicht.

Ute Gröbel: Die Idee ist auch, sich mit anderen freien Häusern zu vernetzen, damit man ein bisschen aus München raus kommt und umgekehrt andere Leute hierher kommen. Dass man stufenweise ein Netzwerk bildet, institutionell und personell.

Bleibt der Name „i-camp“ bestehen?

Ulrich Eisenhofer: Nein.

Sondern?

Urlich Eisenhofer: HochX.

 

CASSIDY ist heute und morgen um 19.30 Uhr, am Samstag um 14 Uhr zu sehen, jeweils in der Schauburg, dem Theater der Jugend. Im Anschluss an die Premieren-Vorstellung findet ein Künstler-Gespräch statt. Das Team von CASSIDY nimmt zudem am NEW WORKS-TALK am Samstag um 11 Uhr im Ampere teil.

 

 

 

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