SPIELART 2017

Schiffe versenken und Minen räumen. Der lange Schatten des Falkland-Kriegs.

Was kommt nach den Kriegsspielen? Lola Arias lädt drei argentinische und drei britische Falkland-Veteranen ein, auf der Bühne in sehr persönliche Geschichten und Erinnerungen an Krieg, Trauma und das Leben nach dem Krieg einzutauchen. 

Es fängt ja schon bei der Bezeichnung an: Falkland Islands sagen die einen, Islas Malvinas die anderen. Folgerichtig sprechen die einen von Falklands Crisis und die anderen von Guerra de las Malvinas. Der Krieg, der mit einer Invasion argentinischer Truppen am 2. April 1982 begann, dauerte zweiundsiebzig Tage. An deren Ende hatten 253 Briten und 655 Argentinier ihr Leben gelassen. Der Falklandkrieg war der einzige Krieg, in den Argentinien im 20. Jahrhundert verwickelt war. Großbritannien engagierte sich nach dem militärischen Erfolg auf den Falklands hingegen in den folgenden Jahrzehnten aktiv und regelmäßig in zahlreichen Kriegen, vor allem in Afghanistan und im Irak. Dies mag ein Grund dafür sein, dass die Erinnerung an den Falklandkrieg in Großbritannien nicht mehr ganz so präsent ist. Doch dieser Krieg um die kleine Inselgruppe im Südlichen Atlantik ist keineswegs vergessen. Auf den Falklandinseln wird alljährlich am 10. Januar der Margaret-Thatcher-Day begangen. In Argentinien, das den Anspruch auf die Inselgruppe nie aufgegeben hat, ist der Dia de Malvinas am 2. April gesetzlicher Feiertag.

Fünfunddreißig Jahre nach dem Kriegsende bringt die 1976 geborene argentinische Autorin, Regisseurin, Schauspielerin und Musikerin Lola Arias drei argentinische und drei britische Falklands-Veteranen zusammen, die 1982 gegeneinander gekämpft haben. Die Theatermacherin selbst war erst sechs Jahre alt als auf den und um die Inseln gekämpft wurde.

Da wohl auch das Münchner Publikum überwiegend wenig oder nur bruchstückhafte Erinnerungen an den Falklandkrieg haben dürfte, soll hier an einige zeit-, kultur- und pophistorische Kontexte, die, bedingt durch den Blickwinkel der Autorin, vor allem britischen Zeitgeist widerspiegeln, erinnert werden.

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Wie schlecht es um das Ansehen der britischen Premierministerin und ihrer Tory-Regierung bestellt ist, zeigt ein Internet-Scherz, der vor ein paar Tagen die Runde machte. Die britische Satire-Website „The Rochdale Herald“ meldete, dass die Eiserne Lady zu Halloween von den Toten wiederauferstehen soll, um die Konservativen daran zu erinnern, was Staatsfürsorge bedeutet („Thatcher to be resurrected on Halloween night to put the caring back into the Conservatives„).

Vor 35 Jahren, in der zweiten Hälfte ihrer ersten Amtszeit, konnte die nicht gerade als fürsorglich wahrgenommene Margaret Thatcher sich kaum Chancen auf eine Wiederwahl ausrechnen. Die Wirtschaft des Vereinten Königreichs befand sich in der Rezession, die Inflation war anhaltend hoch, die Arbeitslosigkeit steuerte mit drei Millionen Menschen ohne Arbeit auf ein Allzeithoch zu und der Konflikt in Nordirland eskalierte nach dem Tod des hungerstreikenden IRA-Mitglieds und Abgeordneten des britischen Unterhauses Bobby Sands im Mai 1981. Soziale Unruhen wie der „Brixton Riot“ waren auch Ausdruck der gesellschaftlichen Spaltung und wachsenden Ungleichheit und nagten am Bild der durchsetzungsstarken „Eisernen Lady“.

A scene from Minefield by Lola Arias @ Royal Court, Jerwood Theatre, Downstairs. Developed by The Royal Court and LIFT.
(Opening-03-06-16)
©Tristram Kenton 06/16

Die Invasion der argentinischen Streitkräfte auf den Falkland-Inseln im April 1982 bot Thatcher Gelegenheit, Stärke zu zeigen. Durch den siegreich geführten Falkland-Krieg und den dadurch hervorgerufenen Patriotismus schnellten ihre Beliebtheitswerte in die Höhe und ihre Wiederwahl 1983 war gesichert. Auch an diese Kausalität hat „The Rochdale Herald“ erst vor einigen Wochen mit einem satirischen Hilfsangebot an die angeschlagene Premierministerin Theresa May erinnert: „Argentina offers to invade Falklands Islands for one billion GBP if that will help May„.

Tatsächlich hat Margaret Thatcher genau den politischen Profit aus dem Krieg geschlagen, den der konservative, erst im Dezember 1981 an die Macht gekommene und beim Volk unbeliebte Kopf der argentinischen Militärregierung, Leopoldo Galtieri, für sich erzielen wollte. Unmittelbar nach der (erfolgreichen) Invasion der Inseln gewann die Militärregierung zwar kurzzeitig an Popularität. Doch schon wenige Wochen nach dem Ende des Krieges und dem Sieg der britischen Streitkräfte verlor Galtieri sein Amt. Sein Nachfolger setzte sich für den Demokratisierungsprozess ein und bereits 1983 kam es zu freien Wahlen und dem Ende der argentinischen Militärdiktatur.

A scene from Minefield by Lola Arias @ Royal Court, Jerwood Theatre, Downstairs. Developed by The Royal Court and LIFT.
(Opening-03-06-16)
©Tristram Kenton 06/16

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Die anhaltende Relevanz des Falklandkriegs zeigen die zahlreichen Videos zum Thema, die man im Internet finden kann. Eine kleine Auswahl wird weiter unten vorgestellt.

Bereits kurz nach dem Krieg und bis in die Gegenwart hinein haben sich Film- und Fernsehschaffende auf britischer wie auf argentinischer Seite immer wieder mit der Geschichte des und Geschichten vom Falklandkrieg befasst – gleichermaßen in Spielfilm- oder in dokumentarischen Formaten oder als TV-Dramen.

Im Theater hat der englische Schauspieler, Dramatiker und Regisseur Steven Berkoff 1986 das von ihm verfasste satirische Drama „Sink the Belgrano!“ auf die Bühne gebracht. Das Stück behandelt den umstrittenen Abschuss des argentischen Kreuzers „General Belgrano“ durch britische Torpedos. Das Schiff habe sich zum Zeitpunkt des Versenkens außerhalb der „Totalen Ausschlusszone“ befunden und zudem von den Falklandinseln wegbewegt. Bei dem Beschuss des Kriegsschiffs sind allein 323 argentinische Soldaten ums Leben gekommen. Einer der Überlebenden der Belgrano, Rubén Francisco Otero, spricht in „Minefield/Campo Minado“ über seine Erlebnisse.

A scene from Minefield by Lola Arias @ Royal Court, Jerwood Theatre, Downstairs. Developed by The Royal Court and LIFT.
(Opening-03-06-16)
©Tristram Kenton 06/16

Die argentinische Perspektive auf den Guerra de las Malvinas und der fortdauernde Anspruch auf die Inselgruppe wird in diesem animierten Video aus dem Jahr 2012 präsentiert, das vom argentinischen Erziehungsministerium beauftragt wurde.

In siebeneinhalb Minuten wird der militärische Verlauf des Falklandkriegs von dem animierten youtube-History-Channel „Oversimplified“ hier wiedergegeben.

Die ganze Geschichte von der Kolonialisierung der Falklandinseln bis zum Krieg ist hier in drei Minuten kompakt zusammengefasst.

Und „Binkov’s Battleground“ macht sich Gedanken darüber, wie der Falklandkrieg im Jahr 2017 ausgehen würde und vergleicht die jeweiligen militärischen Stärken der Länder.

Militärhistorisch Interessierte finden zudem ausführliche Erläuterungen zu den PsyOps bzw. Operativen Informationen eines britischen Militärangehörigen.

Kunsthistorisch interessant ist, dass beim Falklandkrieg erstmalig eine Kriegsmalerin eingesetzt wurde. Die Künstlerin Linda Kitson fertigte als offizielle, in die britischen Streitkräfte eingebettete Kriegskünstlerin mehr als vierhundert Kreidezeichnungen an. Im Frühjahr 2017 veröffentlichte die Tageszeitung The Times ein Porträt über sie.

Ausstellungen im Imperial War Museum behandeln immer wieder das Thema; hier wurden „30 Photographs from the Falklands War“ zusammengetragen.

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Schließlich hat auch die Popkultur den Falklandkrieg wiederholt thematisiert. Billy Bragg, einer der politischsten Liedermacher dieser Zeit, verweist regelmäßig auf Margaret Thatcher als Inspirationsquelle. Und auch viele andere (britische) Musiker*innen dieser Epoche haben aus ihrer Wut auf die ausgrenzende Thatcher-Politik und die Militarisierung durch den Falklandkrieg künstlerische Inspiration geschöpft. Hier eine unvollständige Playlist:

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A scene from Minefield by Lola Arias @ Royal Court, Jerwood Theatre, Downstairs. Developed by The Royal Court and LIFT.
(Opening-03-06-16)
©Tristram Kenton 06/16

All diese Geschichten vom und Erinnerungen an den Falklandkrieg spiegeln nur Facetten wieder und bilden weder ein einheitliches noch eindeutiges Narrativ im Minenfeld von Geschichte und Patriotismus, widerstreitender Propaganda und Ideologie. So sprechen auch die sechs Kriegsveteranen jeweils nur von ihrer individuellen Erfahrung, von ihren biographischen Erlebnissen und ihrer ideologischen Manipulierbarkeit und erheben nicht den Anspruch auf Faktizität oder Wahrheit. Sie laden ein zum Dialog, zum Austausch der Perspektiven.

Hervorzuheben ist, dass auf der britischen Seite einer der Veteranen Gurkha ist. Um diese nepalesische Kampfeinheit ranken sich immer wieder Mythen. So wurde, u.a. vom kolumbianischen Literatur-Nobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez höchstselbst, im Falklandkrieg kolportiert, dass Gurkhas besonders grausame, erbarmungslose Kämpfer seien und selbst vor Enthauptungen nicht zurückschräken. Der Dokumentarfilm „Who Will be a Gurkha“ von Kesang Tseten aus dem Jahr 2012 hat den harten Auswahlprozess und die fortgeschriebenen kolonialen Strukturen in dieser britischen Elite-Militäreinheit beschrieben. Die Anwesenheit von Sukrim Rai eröffnet Raum für weitergehende Tiefe und historische Komplexität: der (post)koloniale Krieg um entlegene Kolonien wird auch geführt von Kolonialisierten, die in einer früheren Epoche in einer anderen Region unterworfen wurden.

Was sagt uns heute noch der Falklandkrieg? Welches Erbe hat er hinterlassen? Auf welchem Minenfeld müssen wir uns in einer postkolonialen Welt zurechtfinden? Und wie können wir es durchschreiten – ohne Schaden zu nehmen oder anderen Schaden zuzufügen? Und nicht zuletzt: Wie wird das Münchner Publikum auf „Minefield/Campo Minado“ reagieren?

 

A scene from Minefield by Lola Arias @ Royal Court, Jerwood Theatre, Downstairs. Developed by The Royal Court and LIFT.
(Opening-03-06-16)
©Tristram Kenton 06/16

 

Lola Arias wurde 1976 in Buenos Aires geboren. Sie ist Autorin, Regisseurin, Schauspielerin und Musikerin. Bei SPIELART war sie bereits zweimal zu Gast, zuletzt 2009 mit MA VIDA DESPUÉS. Mit anderen Künstlern aber auch Protagonisten aus anderen Lebensbereichen arbeitet sie bevorzugt am Grenzbereich zwischen Realität und Fiktion, Wirklichkeit und Fantasie. An den Münchner Kammerspielen wird sie in dieser Spielzeit ein Projekt mit dem Open Border Ensemble entwickeln.

 

MINEFIELD/CAMPO MINADO // LOLA ARIAS / BUENOS AIRES // ENGLISCH UND SPANISCH MIT DEUTSCHEN UND ENGLISCHEN ÜBERTITELN // 27.10. und 28.10., jeweils 19.00-20.40 // CARL-ORFF-SAAL

 

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