SPIELART 2017

Tianzhuo Chen, ein Asian Dope Boy?

It’s selfie time: Tianzhuo Chen nach dem Interview mit Julia Weigl

Einen Pappbecher schwarzen Kaffee in der Hand entschuldigt sich Tianzhuo Chen ganz höflich. Er ist fünf Minuten zu spät. Dann setzt er sich auf das schwarze Ledersofa im düsterroten Backstageraum der Muffathalle. Er trägt eine auffällige goldgelbe runde Brille, eine mächtige gelbe Halskette und einen kunterbunten Jogginganzug. Auffällig und ein wenig schrill wirkt er auf den ersten Blick. Wenn er anfängt über seine Kunst und Arbeit zu sprechen, wird er ganz konzentriert und nachdenklich. Auf dem SPIELART 2017 ist der chinesische Künstler, der in London lebte und studierte und heute vor allem in Peking zu Hause ist, gleich mit zwei Arbeiten zu Gast: mit seiner düsterkomischen Pop-Oper AN ATYPICAL BRAIN DAMAGE und der Videoausstellung PARADISE BITCH | PICNIC. Ein Interview über Ideen, Ideale und Identitäten.

AN ATYPICAL BRAIN DAMAGE feierte in Graz auf dem Steirischen Herbst Premiere. Wie war Deine Erfahrung dort?

Es fühlte sich gut an. Davor war ich sehr nervös und unsicher. Aber das Feedback danach war gut…

Warum warst Du davor unsicher?

Immer wenn ich an einer neuen Produktion arbeite, fühle ich mich ein wenig unsicher. Ich habe immer Gefühlsschwankungen. Im einen Moment bin ich total zufrieden, wie es läuft, und dann zweifle ich wieder an allem. Aber mit dieser Energie arbeite ich auch im künstlerischen Prozess.

Wie würdest Du AN ATYPICAL BRAIN DAMAGE selbst beschreiben?

Für mich erzählt die Show eine furchteinflößende Geschichte, die sich im chinesischen Hinterland ereignet. Vielleicht nicht mal chinesisch, sondern asiatisch, da es ja auch um einen Vietnamesen geht. Da orientiere ich mich stark an wahren Begebenheiten, was diesem Mann wirklich passiert ist. Aber auf der anderen Seite kombiniere ich diese Erfahrung mit fiktiven Krimi-Elementen.

AN ATYPICAL BRAIN DAMAGE

Was hat Dich an diesem Stoff interessiert?

Ich habe einmal mit einem Künstlerfreund zusammengesessen, der aus aus einem kleinen Kaff in China kommt. Er kennt das Landleben und führt schon lange dieses absurde Leben, das sich so stark von dem unterscheidet, was ich kenne. Ich habe eigentlich immer in großen Städten gelebt. Dieser Konflikt hat mich fasziniert. Er und sein Bruder arbeiten in diesem Dorf als Künstler: Wie funktioniert kreative Arbeit auf dem Land? Das konnte ich mir gar nicht vorstellen. Und natürlich auch immer die Frage: Was ist chinesische Kunst? Mit was beschäftigen sich Künstler in China? Mir werden in Europa und Amerika sehr häufig die gleichen (stereo-)typischen Fragen gestellt, und das langweilt mich: über Zensur, die politische Situation, das Leben als Künstler in China? Das sind alles Fragen, die ich gerne in meinen Arbeiten aufgreife, reflektiere und dekonstruiere.

Mit was beschäftigen sich also chinesische Künstler im Moment?

Meine Generation ist sehr offen. Natürlich haben wir einen Weg gefunden, an alles, was uns interessiert, heranzukommen. Im Internet, in den Nachrichten. Es gibt immer einen Weg. Wir nutzen Instagram, Facebook und sind mit dem Rest der Welt in Kontakt. Junge Menschen in China sind sehr interessiert an Neuem, neuer Technik, neuen künstlerischen Strömungen in Musik, Mode und Performance. Wir arbeiten gerade an einer Kommunikation mit der Welt da draußen: Alles was gerade in Europa passiert, könnte genauso gut in Shanghai passieren.

Legen Sie deshalb auch oft einen Fokus auf Perspektivwechsel: Wie sieht die westliche Welt Asien und wie blickt man von China aus auf Europa?

Die Künstler aus den Achtziger und Neunzigern haben viel damit gespielt, sich als Chinese oder chinesischer Künstler zu präsentieren. In meiner Generation spielt das eigentlich keine Rolle mehr. Wenn Menschen das auf einen projizieren, kann das nerven. Aber auf der anderen Seite auch interessant sein und ein Thema, mit dem man spielen kann.

Würdest Du deine Arbeiten dann als universell einordnen?

Zum Teil ja – meine Performer stammen aus der ganzen Welt, die Musik ist sehr international. Aber dann sind es doch immer wieder sehr spezifische, territoriale Themen, die mich faszinieren. Wie in diesem Fall das chinesische Hinterland. Wie in einem anderen Stück von mir. ISHVARA, da habe ich Buddhismus mit Hinduismus Mix gemacht, auch ein sehr asiatisches Thema.

Sie haben also eine neue Religion erfunden…

Manchmal kreiere ich gerne eine fiktive Religion, die sich nicht auf eine bestimmte Religion bezieht, sondern viele unterschiedliche Ideen in sich vereint – und hinterfragt, was Religion eigentlich ist oder vielmehr sein kann.

Und wie könnte so eine Religion aussehen?

Für mich ist das etwas Zeitgenössisches. Eine Religion, die unser tägliches Leben widerspiegelt. Mehr eine religiöse Erfahrung oder eine Idee, die zeigt, was Religion sein kann.

AN ATYPICAL BRAIN DAMAGE

Man beschreibt Deine Performances auch gerne als ekstatische oder transzendentale Erfahrungen…

Das ist eigentlich immer mein Anspruch. Eine gute Performance ist für mich wie ein Trip. Meine Arbeit ist stark verknüpft mit der Club-Kultur und Musiker aus dieser Szene. In China habe ich auch ein Party-Label. Deshalb wollte diese Club-Qualität in die ernsten Performances mit einbauen. So wie Clubs die Religion junger Menschen sein können.

Da passt natürlich auch die Muffathalle als Spielort, die eigentlich kein Theater ist, sondern eine Konzerthalle, die sich manchmal in einen Club verwandelt.

Ich arbeite sehr gerne in Off-Spaces und an untypischen Orten. Der Raum ist für mich sehr wichtig, weil er natürlich auch etwas mit meiner Arbeit macht – und der Performance eine ganz andere Energie gibt. Das passt zu meiner Art zu inszenieren: Oft sind meine Performance eher eine Installation. die Zuschauer sollen sich bewegen können, die Performance aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. So sind die Künstler für das Publikum greifbarer.

Dein Istagram-Account trägt den Namen „Asian Dope Boys“. Was hat es damit auf sich?

Mein Name ist einfach oft viel zu kompliziert. Dann habe ich mit diesem Wortspiel, das natürlich auch ein Klischee an sich ist, gespielt – und das wurde dann mein Instagram-Name wie auch der Name meines Labels.

Es klingt ja auch ein wenig Gangster. Amerikanische Gangster sind ja auch ein Thema, das Dich in einem der Videos beschäftigt, die Du in München zeigen wirst.

Asian Dope ist heute auch eine Art Zuschreibung und Zuordnung, für die nicht nur ich stehe, sondern eine Gruppe von Künstler aus meiner Generation. Künstler, die sich für den Underground und Subkultur interessieren. Das ist ein Begriff, der aus meinen Partys und Partyreihen entstanden ist. Jeder, der ein Teil dieser Szene war, war Teil der Boys.

 

AN ATYPICAL BRAIN DAMAGE // PERFORMANCE // 27.10. + 28.10.  21.00-22.30 Uhr // MUFFATHALLE

PARADISE BITCH | PICNIC // VIDEOAUSSTELLUNG // 27.-31.10. ab 18 UHR // MUFFATWERK

 

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