#blackbodiesmatter: Warum die Diskussion um schwarze Körperbilder so wichtig ist
Auf dem SPIELART 2017 verfolgen viele Künstler das gleiche Ziel: Sie möchten Vorurteile und kulturelle Identitäten dekonstruieren und mit Stereotypen spielen. Im Fokus steht dabei oft der schwarze Körper.
Wahrnehmung ist ja immer so eine Sache. Sie ist persönlich, individuell, abhängig von der eigenen Perspektive, geprägt von Vorurteilen und Stereotypen, die im eigenen Kulturkreis in den Köpfen der Menschen herumspuken. Im Zentrum die Angst vor dem großen Anderen, dem Fremden, dem Nicht-Eigenen, dem Nicht-Ich. Eine andere Sprache, eine andere Kultur, eine andere Religion, eine andere Sexualität – oder eine andere Hautfarbe.
Ein Thema, das nicht nur in den deutschen Theaterhäusern gerade gerne aufgegriffen wird, wenn man sich etwa die Re-Inszenierung von MITTELREICH mit einen All Black Cast in den Münchner Kammerspielen ansieht. Als Appropriation Act entwirft die Regisseurin Anta Helena Recke eine Kopie der ursprünglichen MITTELREICH-Inszenierung von Anna-Sophie Mahler. Ein kritischer Innenblick auf die deutschen Bühnen, auf denen schwarze Schauspieler*innen noch eine Seltenheit sind, oder wenn überhaupt als Stereotyp eingesetzt werden.
Auf dem SPIELART 2017 wird der Blick dagegen nach außen gerichtet, in die Welt, in andere Kulturkreise – wie etwa nach Südafrika: Albert Khoza aus Johannisburg ist ein klassisch ausgebildeter Tänzer und Sangoma, ein traditioneller afrikanischer Wunderheiler. In seiner Performance INFLUENCES OF A CLOSET CHANT inszenierte er seinen eigenen Körper: einen schwarzen homosexuellen Mann, übergewichtig, extrovertiert, schrill, der weder in das enge Korsett eines klassischen Tänzers noch in die strikten Traditionen der Sangoma passt. Er verleiht sich selbst und seinem Körper eine Stimme gegen Ausgrenzung. Er ist allerdings nicht der einzige Künstler, der sich auf dem SPIELART mit dem schwarzen Körper und dessen Wahrnehmung in der Gesellschaft beschäftigt. Auch Sethembile Msezanes rückte mit ihrer SPIELART-Eröffnungsinstallation THE CHARTER den schwarzen Körper in den öffentlichen Raum.
Auch die in Zimbabwe geborene Choreografin Nora Chipaumire beschäftigt sich mit Körperlichkeit und kulturellen Identitäten. Bei ihr wird der schwarze männliche Körper als Inbegriff der Bedrohung aufgedeckt. Als sexualisiertes, animalisches Objekt. In PORTRAIT OF MYSELF AS MY FATHER tritt sie gemeinsam mit zwei Tänzern in den Boxring gegen ihren Vater an, den sie nicht kannte. Im Ring werden die Geschlechterrollen aufgehoben: Nora und ihre beiden männlichen Kollegen Ibrahima Ndiaye und Shamar Watt werden eins, sie werden zu einem Körper: Sie wippen zu Hip-Hop-Beats, tragen American-Football-Schulterpads, brüllen unverständliche Laute, trommeln auf ihren Brüsten. Auch hier sollen Vorurteile und Zuschreibungen aufgebrochen, das Publikum mit stereotypischen Sehgewohnheit konfrontiert werden.
Heute lebt und arbeitet Chipaumire in Brooklyn. In ihren Performances setzt sie sich häufig mit ihrer afrikanischen Heimat und ihrem eigenen Körper auseinander, richtet den Blick immer wieder auf die Geschichte ihrer kulturellen Identität. Mit PORTRAIT OF MYSELF AS MY FATHER untersucht sie koloniale sowie postkoloniale Machtstrukturen und fragt, ob ihr Vater nicht ein Opfer seiner eigenen Geschichte und Kultur, beziehungsweise der Geschichte seines Landes ist? Kann man durch den männlichen afrikanischen Körper die Traditionen des Landes, den Kolonialismus und das Bedürfnis nach Freiheit zu verstehen versuchen?
Der New Yorker Poet und Performer Jaamil Olawale Kosoko sieht sich mit ähnlichen Fragen konfrontiert. In #NEGROPHOBIA inszeniert er die erotisch aufgeladene Angst, die auf den männlichen schwarzen Körper projiziert wird: Seinem toten Bruder gewidmet, möchte Jaamil Antworten geben auf Rassismus und Gewalt. Da hat sich auch heute in der amerikanischen Gesellschaft nicht viel getan, im Gegenteil, befeuert ein Präsident wie Donald Trump die alten Vorurteile doch aufs Neue. In installativen Bildern konfrontiert Jaamil das Publikum mit seinem Körper, changierend zwischen Rassismus und Exotisierung.
Gemeinsam stehen all diese Künstler und noch viele weitere auf dem diesjährigen SPIELART für einen Perspektivwechsel in der Kunst, der die Postcolonial Studies schon lange beschäftigt – und endlich auch auf deutschen Bühnen thematisiert und debattiert wird. Auch das Diskurswochenendes CROSSING OCEANS (3. Bis 5. November) wird dieses Thema aufgreifen und mit einigen SPIELART-Künstler*innen neudenken.
PORTRAIT OF MYSELF AS MY FATHER // PERFORMANCE // 30. + 31.10. 21 UHR // MUFFATHALLE
#NEGROPHOBIA // PERFORMANCE // 1.11. 21 UHR + 2.11. 19 UHR // SCHWERE REITER