SPIELART und seine Publikationen – ein kurzer Rückblick
Die zehnte Ausgabe von SPIELART gibt Anlass in Gedächtnissplittern zurückzublicken, Vergangenes hervorzuholen und zu reflektieren. Lang gepflegte Beziehungen zu Künstlern treten ebenso hervor wie, die das Format, das SPIELART als zeitgenössisches Theaterfestival am Impuls der Zeit im Laufe der Festivalausgaben gewann…
- SPIELART Programm 1995. Die erste Publikation des Festivals, das auf unkonventionelles neues Theater Lust machen will. Damals hieß es auch noch SPIEL.ART. Mit dabei waren damals u.a. schon: Helena Waldmann; Roy Faudree, ehemaliger Schauspieler der New Yorker Wooster Group mit dem No Theater; ; das Münchner Urgestein Alexeij Sagerer mit seinem Theater proT; der italienische Avantgarde-Regisseur Giorgio Barberio Corsetti, diverse Theater-Produktionen aus Japan sowie sogenannte „szenische Installationen“ und „inszenierte Vorträge“ namens Theatrum Philosophicum.
- Poster und Flyer von SPIEL.ART 1997: 11 Tage internationales Theaterfest mit 18 Gastproduktionen aus Italien, den Niederlanden, Belgien, New York und Linz. Damals schon mit dabei: Forced Entertainment mit SPEAK BITTERNESS, Gob Squad mit CLOSE ENOUGH TO KISS, Societas Raffaello Sanzio mit GIULIO CESARE. Das SPIEL.ART Büro zieht von den abruchreifen Büroräumen am Platz 4a in die Ludwigstraße 8.
- Bis 30. 10. 1997 konnte man die Festivalpublikation Theater etcetera zum Vorzugspreis von 10 statt 20 DM erwerben. Inszenierte Festivalvorträge wie die von 1995 sollen absofort in eine zweisprachige Publikation fließen. Thematisiert werden nun: die Rolle der freien Szene, innerhalb der deutschen Theaterlandschaft, insbesondere die des freien Theaterfestivals in München, das sich „als Forum für innovatives Projekttheater“ sieht. Beitäge von Ritsaert ten Gate, Gründer von Mickery; Tilmann Broszat; Film- und Theaterregisseur Carmelo Bene; Tim Etchells; der frühere Leiter der Ars Electronica Gottfried Hattinger; der flämische Dramaturg Erwin Jans; die Pariser Kunsthistorikerin Sally Jane Normann; der US-amerikanische Regisseur Peter Sellars; Arnd Wesemann, Redakteur von Ballett international.
- Programmmagazin, Programmflyer, Flyer und Infomaterial zum Diskursprogramm SPIEL.ART 1999. Damaliger Kulturreferent: Julian Nida-Rümelin. SPIEL.ART lädt zur Zeitreise ein: Zum „Jet Lag“ in der Eröffnungsvorstellung, zum 24-Stunden -Trip mit Forced Entertainment, zum 7-Minuten-Quicky in der „Peep Show“ und zu langen Nächten auf der Praterinsel. Das interdisziplinäre Symposium ACTOR 2000 – GLOBAL PLAYER ODER LOCAL HERO? STÜCK FÜR STÜCK – EIN PERFORMANCE-FEST IN SECHS GÄNGEN lädt zum interdisziplinären Austausch mit Künstlern ein – Kulinarisches von Aperitif bis Magenbitter runden das Ganze ab. In der Reihe ACTOR´S CHOICE stellen Schauspieler aus Belgien, China, Deutschland, und Großbritannien ihren neu entwickelten Szenen vor.
- Das 120 Seiten starke THEATER ETCETERA 1999 versteht sich nicht als Programmbuch zum Festival, sondern als eine Sammlung von Reflexionen, Überlegungen, (Hinter-)Gedanken, Berichten und Kommentaren beteiligter Künstler, Theoretiker und Programmplaner, die im Verlauf der inhaltlichen Diskussionen zur SPIELART-Ausgabe beigetragen haben. Diskursiver Schwerpunkt des Festivals und damit der Materialsammlung: der Schauspieler bzw. Performer, der in damaligen Theaterdiskursen fast nur noch als Marginalie existiert. Beiträge u.a. von: Bob Cilman, Richard Crane, Christine Dössel (Theaterjournalistin ), Sigrid Gareis (Siemens Kulturprogramm), die aus München stammende „experimentelle Theater-Verrichterin“ Ruth Geiersberger, Matthias Lilienthal (Chefdramaturg der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz), Elisabeth Schweeger (Marstall/Bayerisches Staatsschauspiel) und Kathrin Tiedemann (Kulturredakteurin) .
- Mit dem Gestaltungsbüro Schultes & Hersberger nehmen die Publikationen von SPIELART ein neues Format an. SPIELART 2001: Nico and the Navigators aus Berlin sind mit zwei Produktionen am Start, Jan Ritsema trifft auf Jérome Bel, der mit THE SHOW MUST GO ON die Muffathalle in einen Dance-hall verwandelt. in Giorgio Barberio Corsettis DER PROZESS werden die Zuschauer auf einer mobilen Tribüne durch den Raum gefahren. Stefan Kaegi und Bernd Ernst schicken als Kanal Kirchner ihre Zuschauer auf eine Audiotour durch die Stadt. Zuhören und Mitreden: In der Diskussionsveranstaltung WAS SOLL DAS THEATER? stehen u.a. Johann Kresnik, Christian Stückl und Ivan Stanev bereit zur Antwort. Das Ampere als neue Spielstätte steckt noch in den Umbaumaßnahmen.
- THEATER ETCETERA 200: Schwerpunkt der inzwischen dritten Ausgabe der Festivalbegleitenden Publikation: Das Publikum. Als Autoren kommen zu Wort: der Pariser Choreograf und Konzeptkünstler Jérome Bel, der Kulturphilosoph und Austellungsmacher Paolo Bianchi, der Theatertheoretiker und Forced Entertainment-Leiter Tim Etchells, der Dramaturg und Kurator Joachim Gerstmeier, der Soziologe und Chefredakteur von MASKA und Theatertheoretiker Emil Hrvatin, der „Mann des Postdramatischen Theaters“ himself: Hans-Thies Lehmann, der Performance-Künstler Boris Nieslnoy, der Lyriker und Dramatiker Albert Ostermaier, das Allroundtalenet Jan Ritsema aus den Niederlanden sowie als Autorinnen die japanische Philosophin Massae Suganuma, die Israelische Schauspielerin und Regisseurin Smadar Yaaron und die Bühnenbildnerin Eva Diamantstein.
- 2003 stellt SPIELART die Frage nach REAL oder FAKE? Als Beitrag zur Forderung nach einem wieder politischen Theater in den Raum. Haben der 11. September, Afghanistan und der Irak-Krieg Spuren hinterlassen? Dood Paard, Jewgenij Grischkowez, Jan Lauwers, Forced Entertainment, die Compagnie Dakar udn Cornelie Müller erforschen das Verhältnis von Wahrheit und Lüge, von Mythos und Realität. In der Reihe zum IS IT REAL? verschärfen SPIELART-Künstler in unterschiedlichen Performance- und Vortragsformen den Blick auf REAL und FAKE. Interventionistisch ziehen Johan Lorbeer, Miriam Reeders, die Seven Sisters Group, Stefan Kaegi und Christina Ruf durch die bayerische Landeshauptstadt.
- SPIELART 2003: Die selektive Wahrnung von Realität zeigt sich in den zahlreichen Rand-Projekten des Festivals. Im Länderschwerpunkt polska@spielart werden impulsgebende Theatermacher aus Polen vorgestellt. Das inzwischen legendär gewordene THE RITE OF SPRING von Katarzyna Kozyra ist Teil des Programms, das auch die dadaistisch-absurde Welt des Teatr Cinema enthält.
- HERZlich Willkommen zu SPIELART 2005: P.O.P PASSION_OBSESSION_PATHOS. Die 6. Ausgabe von SPIELART ist leidenschaftlich, vulgär, kitschig … So macht SPIELART Platz für das multimediale Traumtheater WHITE CABIN von Akhe Theater aus Russland, lässt den spanischen Regisseur Rodrigo García die Bühne der Muffathalle in ein Schlachtfeld verwandeln. In PEEP SHOW zelebriert die Kanadierin Marie Brassard intime Geschichten über Flirts, sexuelle Phantasien und halluzinogene Drogen. In Christoph Marthalers Liederabend O.T. EINE ERSATZPASSION herrscht das Chaos der Dinge über die Darsteller. Charlotte Engelkes erzählt in SWEET von light entertainment busines und She She Pop fragen: WARUM TANTZ IHR NICHT? Emotionslos bleiben Zuschauer nicht bei Romeo Castelluccis TRAGEDIA ENDOGONIDIA.
- 2007: SPIELART ohne Generalmotto… doch es tut sich einiges: Das Festival im Festival: WHATS´S NEXT? richtet die Aufmerksamkeit auf junge Theatertalente, die von renommierten Theatermachern beraten werden. Studenten der Theaterwissenschaft begleiten SPIELARt mit Interventionen und einem SPIELART-Blog. Die Musiker kehren auf die Bühne des Sprachtheaters zurück: Heiner Goebbels inszeniert ein Klavierstück ohne Pianisten. Das erste mal zu Gast sind Nature Theater of Oklahoma und Cuqui Jerez. Das italienische Performance-Kollektiv Orthographe. Landsmann Romeo Castellucci präsentiert seinen Filmzyklus TRAGEDIA ENDOGONIDIA in seiner Gesamtlänge. Startschuss für FESTIVALS IN TRANSITION: 10 europäische Festivals haben sich zusammengeschlossen, um innovative Theaterformen zu fördern.
- Lola Arias, Beatriz Catani und Federico León verkörpern den Programmschwerpunkt 2009: Argentinien. Erstmals Gast des Münchner Avantgarde-Festivals ist Jan Fabre: ORGY OF TOLERANCE klagt die konsumgeile Gesellschaft an. Im Rahmen von CONNECTIONS stehen u.a. Theatergrößen wie Meg Stuart und Tim Etchells als Paten. Das Bonbon von SPIELART 2009: 30 Stunden Diskurs-Happening WOODSTOCK OF POLITICAL THINKING mit Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin und vielen Denkern, Theoretiker und Forschern.
- SPIELART 2009: Die 8. Ausgabe ist gepägt von Melancholie und Endzeitstimmung. SPIELART 2009 eröffnet mit Philippe Quesnes LA MÉLANCOLIE DES DRAGONS. Apokalyptische Stimmung verbreiten Forced Entertainment mit VOID STORY. Spürbar ist der Rückbesinnung auf die Bildende Kunst sowie die Film- und Foto-Kunst: Hotel Pro Forma steuert RELIEF – A MOTION PICTURE PERFORMANCE bei, Orthographe kommt in CONTROLLO REMOTO ohne Darsteller und Worte aus. Das schweizer Performance-Kollektiv Far a day cage holte die Mafiastory PATE I- III auf die Bühne. Lola Arias, Beatriz Catani udn Federico León verkörpern den Programmschwerpunkt Argentinien. Im Rahmen von Connections stehen u.a. Theatergrößen wie Meg Stuart und Tim Etchells als Paten.
- SPIELART 2011: Welche Spuren haben die Krisensituationen in der arabischen Welt, die Nuklearkatastrophie in Fokushima, das grausame Attentat in Norwegen hinterlassen? Das Theater von heute legt Verunsicherung, Sinnsuche aber auch Spielfreude und Kostümierungsgelüste offen. Mit über 100 Veranstaltungen an 17 Tagen ist SPIELART bis dato eine Mammut-Ausgabe. Gisèle Vienne lässt in HOW YOU WILL DISAPPEAR diffuse Angst- und Gewaltassoziationen entstehen. Mit dabei bekannte Gesichter: Gob Squad, Forced Entertainment, She She Pop. Schwerpunkt der 9. Festivalausgabe ist Japan. Toshiki Okada und Daisuke Miura konfrontieren uns mit ihrem Blick auf eine junge, japanische Generation, die geprägt scheint von globaler Verunsicherung und Legitimationsverlust.
- SPIELART 2011: WOODSTOCK OF POLITICAL THINKING heißt nun SOCIAL FICTIONS. Das Diskurs- und Performance-Happening behandelt obsolet gewordene alte Gesellschaftsutopien und lässt u.a. Janez Janša, Monika Gintersdorfer, Wu Wenguang, Hans-Werner Krösinger über Alternativen neuer Handlungsspielräume reflektieren.
- Ein Novum bei SPIELART 2013: über die Hälfte des Programms besteht aus Koproduktionen. Es gib drei zeitliche Schwerpunkte: Das erste Wochenende steht im Zeichen des außereuropäischen Theaters ist geprägt von Theaterkünstlern aus New York und Peking sowie einer Uraufführung von Gintersdorfer/Klassen über den Panafrikanismus . Das zweite Wochenende ist europäisch angelegt: WAKE UP! – VERSAMMLUNG FÜR EIN ANDERES EUROPA ist die Forsetzung der SPIELART Performance- und Diskursplattform. Sieben neue Werke von Künstlern der nachfolgenden Generation bilden das Abschlusswochenende. Zwei große Installationsprojekte umrahmen das Festivals. SITUATION ROOMS von Rimini-Protokoll sowie CITYWORKs, ein Containerparcours, die Antwort von zehn Künstlern aus Europa zum Thema Stadt.