Crossing Oceans SPIELART 2017

The Last of England – oder, wieso fällt Großbritannien auseinander?

„The Last of England“ des britischen Künstlers und Regisseurs Derek Jarman ist vor dreißig Jahren erschienen und wurde zu einem Meilenstein britischer Filmgeschichte. Es geht um verlorene Utopien, eine Endzeitstimmung in Thatchers neoliberalem England, in dem etwas wie „Gesellschaft“ laut Aussage der Premierministerin nicht existiere. Im Jahr 2017 stehen die britischen Inseln wieder vor einer Zerreißprobe, vor einem Abgrund. „Brexit“ ist nur einer der Gründe. Wachsende Ungleichheit und Animosität zwischen Bevölkerungsgruppen, die Kluft zwischen Arm und Reich, aber auch zwischen Stadt und Land, der Zerfall von Sozialsystemen und den letzten Resten des Wohlfahrtstaats sind andere. Und obendrein gibt es noch den zunehmenden Nationalismus und eine ansteigende Bedrohung durch extremistische Gruppierungen sowie eine erschreckende Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten und Übergriffe wie etwa die zunehmende Zahl an Säure-Attentaten gegen Briten und Britinnen südasiatischer Herkunft.

„A thousand years scarce serve to form a state; 
An hour may lay it in the dust“
(Lord Byron, Childe Harold’s Pilgrimage)

Tim Harrison ist der künstlerische Leiter des SICK! Festivals in Manchester. Das alle zwei Jahre stattfindende Festival für Tanz, Theater, Film und Literatur bespielt verschiedene urbane Räume und diverse demographische Communities und nimmt gleichermaßen körperliche, seelische und gesellschaftliche Herausforderungen in den Blick. Für das SPIELART Festival hat er den vierteiligen Themenblock BRITAIN IN PIECES kuratiert.

Die vier als „Fragmente“ überschriebenen Teile behandeln Fragen wie nationale Zugehörigkeit, Verortung, Heimat und Nationalismus jenseits politisch rechtsextremer Narrative („Running Towards the Fire“) und die Repräsentation und Interpretation schwarzer Körper, insbesondere weiblicher scharzer Körper und des sie taxierenden männlichen weißen Blicks („X“). „Wie lassen sich vor dem Hintergrund von Großbritanniens Kolonialgeschichte neue Bilder und mögliche Zukunftsvisionen entwickeln?“, fragt der Ankündigungstext. Im dritten Teil geht es um die britische Außen- und Innenpolitik, das Internet und die Rollen, die beide im Hinblick auf Rechtsextremismus, Islamismus und Radikalisierung spielen („Fear & Loathing in Cyberspace“). In der abschließenden Diskussionsrunde mit allen Beteiligten wird der Frage nachgegangen, welche Rolle die Künste und insbesondere das Theater in diesen Debatten spielen könnten („Closing Panel“).

Ob diese vier Fragmente die vier Länder des Vereinigten Königreichs repräsentieren sollen, kann uns Tim Harrison während des CROSSING OCEANS Wochenendes am besten selbst beantworten. Das irische Trio Foil, Arms & Hog haben sich über die diversen verwirrenden Selbstbezeichnungen des Landes, die Frage „Was ist ‚Britisch'“ und den anstehenden „Brexit“ ihre eigenen Gedanken gemacht (Video: https://www.youtube.com/watch?v=daB7np-RtOM) ebenso über die Nachwirkungen der britischen Kolonialgeschichte (Video: https://www.youtube.com/watch?v=ARSNaSeT9hw).

Der Filmemacher Christopher Morris hat 2010 mit „Four Lions“ einen satirischen Blick auf England, Schottland, Wales und Nordirland und die Herausforderung durch islamistischen „home-grown“ Terrorismus geworfen. Wie es weiter geht mit dem nicht mehr ganz so vereinigten Königreich, ob Jeremy Corbyn die Lösung kennt und ob sich aus dem Erbe des politischen Theaters (Joan Littlewood’s Theatre Workshop) und/oder den wichtigen kulturwissenschaftlichen Analysen Stuart Halls und des Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies zeitgemäße Anregungen für zukünftige Entwicklungen finden lassen, können wir bei BRITAIN IN PIECES diskutieren.

„We look on past ages with condescension, as a mere preparation for us …
but what if we are a mere after-glow of them?“
(J.G. Farrell, The Siege of Krishnapur)

Alle vier Fragmente von BRITAIN IN PIECES finden am 4.11. im Festivalzentrum in der Almhütte statt und können bei freiem Eintritt besucht werden.

 

BRITAIN IN PIECES // TALKS & PANEL DISCUSSION // 4.11. 16.45-18.15 und 19.00-20.30 UHR // FESTIVALZENTRUM

 

 

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