SPIELART 2021 Spielart Discovery

WERTHER.LIVE – Digital Natives bespielen ihre Räume

WERTHER.LIVE verschlingt im Vollbild meinen Computer, ersetzt meine Chats, meine Tabs und mein Onlineverhalten durch seins. Es spielt sich nicht nur auf meinem Computer ab, es übernimmt ihn als Bühne mit aller Bühnentechnik, die es gibt, übernimmt alle Programme zur Interaktion mit Menschen, denen ich jetzt noch schreiben könnte. Wenn ich will, kann ich dieser Fiktion einen Raum in meinem Leben geben, ein kleines Fenster für sie offen lassen. Ich fantasiere Chats mit Werther, die ich tatsächlich führen könnte. Ich fantasiere sie lieber, weil ich mich erinnern muss, dass er nicht real ist. Wie Werther sich erinnern muss.
Mein Onlineverhalten hat sich im Aufwachsen verändert, das Stück wirft mich zurück in die Zeit, als ich 13 war. Ich weiß, wie es ist, mit 3 Menschen gleichzeitig zu schreiben, gar nicht hinterherzukommen und dann langsam, tröpfelnd, allein gelassen zu werden, weil alle schlafen gehen, scheinbar willkürlich und ohne Abschied. Ich erinnere mich wie viel möglich erscheint, wenn man online und alleine ist und alle Freunde auch. Es entsteht ein Lebensraum zwischen den Zeilen. Beinahe dreidimensionale Beziehungen durch die unterschiedlichen Kanäle und Blickwinkel. Die eigenen Vorstellungen bekommen Freiraum zur Ausdehnung in der gesichtslosen Zeit zwischen Nachrichten, in der Mimik nicht mehr imaginiert wird. Wenn man bedürftig ist, unterstützt das Internet einen dabei, sich selbst das zu geben, was man braucht. Ich weiß noch, als mein Laptop ein Raum war. Etwas dreidimensionales. Als ich genug zweidimensional durchdigitalisiert war um darin zu leben, ihn nicht nur zu benutzen. Es ist wichtig für ein Online-Stück einen Raum zu erschaffen und WERTHER.LIVE schafft es, weil Werther das für sich erzeugt und braucht. Einen Raum in dem man ganz seelisch und nie körperlich versinkt und berührt werden kann. Einen halbrealen Raum, den auch der eigene Computer nach dem fremden Überfall weiter bildet. Vor mir schließt sich der Tunnel in diese fremde Existenz und sehe meine eigenen Chats, meine eigenen Konstrukte. Und schreibe meiner Exfreundin Klara, noch so halb im Werther-Raum.

Im Vorfeld des Festivals hat die Lyrikerin und freie Theatermacherin Thalia Schoeller im Rahmen von SPIELART Discovery zu einigen Produktionen assoziativ Gedichte geschrieben. Während des Festivals wird sie Kritiken schreiben und so eine literarische Umrahmung ihres Festivalerlebnisses schaffen, von Vorfreude zum Nachgespräch. 

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