„Man fällt und fällt und fällt“
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Freitagmorgen in der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Despina Grammatikopulu, die eigentlich Drehbuch studiert, sitzt im Schnittraum. Dreißig Stunden Material hat sie im Sommer während eines Aufenthalts in ihrer Heimatstadt Katerini und in Thessaloniki gefilmt. Daraus soll bald ihr erster Dokumentarfilm werden. IM FREIEN FALL hat sie diesen vorläufig genannt. Bei WAKE UP! Die Versammlung für ein anderes Europa wird sie erstmals darüber sprechen.
Despina, du lädst bei WAKE UP! zu einem Werkstattgespräch ein. Um was geht’s in deinem Film?
Darum, wie vier meiner Freunde – alle um die 35 Jahre – mit der Krise umgehen und was diese in ihrem Leben verändert hat. Vor einigen Jahren gab es in Griechenland noch eine totale Abwehrhaltung. Die Leute wollten sich nicht unterkriegen lassen, dachten, es wird alles wieder. Ab letztem Jahr aber habe ich festgestellt, dass sich meine Freunde dort total verändert haben. Sie gehen gebeugter, sind härter geworden und wirken gebrochen.
Wie hast du dich in dieser Situation verhalten?
Ich hatte viele Auseinandersetzungen mit ihnen und fragte sie: „Was ist denn jetzt? Wie könnt ihr nur so weiter machen?“ Das war meine Perspektive. Oft bekam ich als Antwort darauf zu hören, dass ich ja keine Ahnung hätte. Für sie bin ich anders sozialisiert, da ich in Deutschland aufgewachsen bin. Das ist ein Totschlagargument. Also gab ich irgendwann Ruh. Mit meinem Mann habe ich oft darüber diskutiert, wieso denn die Situation in Griechenland ist, wie sie ist. Mit jedem Einschnitt, der passierte, haben wir darauf gewartet, dass alle auf die Barrikaden gehen. Aber je länger der Zustand andauerte, desto geringer wurde der Widerstand. Und das hat uns gewundert. Als ich dann diesen Sommer nach Griechenland gegangen bin, um den Film zu machen, habe ich mich gefragt, was ist von dem Griechenland, das ich kenne, übrig geblieben? Denn die Krise ist keine Phrase und bedeutet nicht nur irgendwelche Milliarden, die irgendwo hin verschwinden, sie hat mit echten Menschenleben zu tun. Die Krise steht nicht außerhalb der Menschen und begegnet ihnen ab und an, sondern sie nimmt ihren kompletten Alltag ein.
Was sind denn die Bilder der Krise?
Das ist wirklich schwer und auf diesen Punkt bin ich schon während des Drehs gestoßen, als wir dachten „Nein! Die Krise sieht man nicht!“ Meine Freunde erzählen alle so viel, aber ich sehe es nicht. Einer meiner Protagonisten sagt, das Grundproblem der Krise sei die Angst. Und die ist eben nicht wirklich sichtbar. Denn nach wie vor ist alles noch relativ voll. Man sieht die Leute in Cafés sitzen. Es ist zwar dreckig, aber das war es vorher auch schon. Nur wer Griechenland gut kennt, merkt, dass es noch dreckiger ist, dass alles zugesprayt ist, dass Gebäude vor sich hingammeln. Dass der Schein eben trügt.
Hat dich am Verhalten der Leute in Griechenland etwas gestört?
Nein, es war mehr Unverständnis. Ich konnte ihre Handlungen nicht nachvollziehen. Wieso Leute Steuern hinterziehen, Schulden auf sich nehmen, Vetternwirtschaft betreiben und vor allem warum das alle einfach so akzeptieren. Nicht jeder steht hinter jenem System. Wenn man dort lebt, macht man aber mit, ohne darüber nachzudenken, dass das System kollabieren könnte. Als dies passierte, war es für alle ein Überraschungsmoment. Es stimmt, dass man in Griechenland das Leben mehr lebt. Aber nicht ein ganzes Volk handelt so. Viele arbeiten sich zu Tode und haben viel weniger Urlaub als in Deutschland. Sie haben drei Jobs gleichzeitig, und stellen am Ende des Monats fest, dass das Geld trotzdem nicht reicht. Natürlich werden Steuern hinterzogen, aber das gibt’s doch in Deutschland auch!
Dein Film wird sich weniger um Proteste oder Hard Facts der Politik als um das Leben der vier Protagonisten drehen. Wie ist denn ihr Leben so in Thessaloniki?
Die Krise steckt in jeder Faser, deshalb habe ich mich auch dazu entschieden, meine Protagonisten in ihrem Alltag zu begleiten. Mit Rodi, das ist eine Freundin aus der Kindheit, bin ich am Olymp spazieren gegangen, durch die Straßen unserer alten Nachbarschaft gelaufen. Sie ist Grafikerin und kämpft mit ihrer Lage, da ihr Lohn gekürzt wurde. Im Moment ist sie darauf angewiesen, sich mit dem Gemüse aus dem Garten ihrer Mutter zu versorgen. Im Film spricht sie sehr offen darüber, was die Krise psychisch mit einem macht, und was es bedeutet, Existenzangst zu haben.
Und dann gibt es noch Giorgos…
Er ist in Deutschland aufgewachsen und hat hier Politologie studiert. Vor zehn Jahren entschied er sich, zurück nach Griechenland zu gehen, weil er sich dort akzeptierter fühlt. Er hätte eigentlich die Möglichkeit, wieder nach Deutschland zu gehen, weigert sich jedoch strikt. Für ihn wäre das keine Lösung. Giorgos ist überzeugter Kommunist und sehr aktiv.
Jannis und Katerina…
Die haben vor vier Monaten ein Kind bekommen. Den beiden geht es sehr gut, denn sie hatten gut bezahlte Jobs und waren kaum betroffen von den Kürzungen. Noch dazu haben sie ein Haus, das schon abbezahlt war, als die Krise begann. Vor zwei Monaten wurde Jannis aber gekündigt. Dennoch ist ihre Reaktion durch und durch positiv. Sie sind optimistisch und handeln so, wie die Gegebenheiten eben sind. Sie würden auch ins Ausland gehen. Unterkriegen wollen sie sich nicht lassen – für mich war das während dem Dreh komplett unverständlich.
Jannis und Katerina werden aber wohl eine Ausnahme sein. Wie empfindest du die allgemeine Stimmung dort?
Ich habe das Gefühl seit etwa einem Jahr ist die Stimmung sehr gedrückt. Die Leute haben sehr viel Angst. Bei manchem regt sich manchmal Wut, bevor schnell wieder die Resignation zurückkehrt. Wenn ich sehe, wie früher Feste gefeiert wurden… Am 15. August findet normalerweise ein riesengroßes Fest statt. Beim Dreh hatte ich diesen Tag extra eingeplant. Aber da war nichts. Keiner hat gefeiert. Denn es gibt nichts zu feiern, und die Leuten haben kein Geld dafür, um Fleisch und Alkohol in großen Mengen zu besorgen. Zu Ostern gab es früher Lamm, das am Spieß gegrillt wurde, nun gibt es ein Hühnchen. Mehr ist nicht drin. Das Feiern gehört nicht mehr zum Leben dazu, die Leute müssen sich begrenzen. Mich wundert, dass es so wenig Protest gibt. Aber wenn du so sehr damit zu kämpfen hast, deinen Alltag irgendwie durchzustehen, dann bleibt dir wenig Kraft für mehr. Und an diesem Punkt sind die Leute gerade.
Andererseits sind in unseren Köpfen gerade diese Protestbilder hängen geblieben: zerstörte und brennende Geschäfte, Ausnahmezustand in den Straßen Athens.
Genau. Das war vor fünf oder sechs Jahren. Aber was ist daraus geworden? Darüber habe ich mich auch mit meinen Protagonisten unterhalten. Damals sind die Leute aufgestanden, aber irgendwann hast du keine Hoffnung mehr. Und das ist das Niederschmetternde. Die Lage ist so bedrückend, dass solche Protestaktionen ganz oft nur für den Moment sind. Aber das ist mein Eindruck von außen.
Eine schwierige Position, die du als Auslandsgriechin –wie du dich selbst bezeichnest– einnimmst.
Ja. Ich stehe dazwischen, denn ich erlebe die Geschehnisse nicht in Griechenland, sondern komme von außen und kann alles nur in den Medien verfolgen. Deshalb geht es mir in meinem Film um die Auseinandersetzung mit den Menschen in sehr privaten Gesprächen, nicht in Interviews, weshalb ich automatisch viel im Bild bin. Für mich ist Griechenland ein Land der Kindheitserinnerungen und vielmehr etwas, was ich fühle, als dass ich es wirklich beschreiben kann. Es ist ein Stück Heimat, aber ich kenne den Alltag nicht. Meine Freunde in Griechenland bezeichnen mich gerne als Deutsche. Erst durch den Film habe ich ein Gespür für die Angst vor der Ungewissheit bekommen. Man fällt und fällt und fällt. Dieses Land, das ich kenne, zerfällt. Und dann frage ich mich, inwieweit wird es dieses Land noch in zehn Jahren geben?
Ist deine Position dann die der Erinnerung und die der Hoffenden?
Meine Rolle ist die einer Suchenden, die verstehen möchte, was in Griechenland passiert. Aber das ist lediglich ein kleiner Teil des Films. Ich bringe den Stein ins Rollen. Es ist nicht die Geschichte, was denn nun mit Despina und ihrer Heimat passiert, sondern die Geschichte von vier Menschen. Ich bin mehr der rote Faden zwischen diesen Menschen, die letztlich ums Überleben kämpfen und mir das Griechenland von heute näher bringen.