SPIELART 2019

Alternative Körperwelten: Ein Interview mit Stacy Hardy und Laila Soliman

Interview: Kristina Kilian & Julia Weigl

MUSEUM OF LUNGS erzählt die persönliche Geschichte der Schriftstellerin Stacy Hardy, die jahrelang mit undiagnostizierter Tuberkulose lebte. In ihrem Heimatland Südafrika ist diese Krankheit weiterhin eine der häufigsten Todesursachen. Hardy stellt Fragen nach der Verletzlichkeit individueller und kollektiver Körper und nach der – häufig rassistischen – Gewalt, die in Gesundheitssystemen sowie politischen Strukturen verankert ist. MUSEUM OF LUNGS ist eine musikalische, dokumentarische Performance, die Archivmaterial mit persönlichen Bekenntnissen verschachtelt, um Verwundbarkeit als Kern von Stärke und Krankheit als Schauplatz von Widerstand und Transformation zu zeigen. Stacy Hardy teilt sich die Bühne mit einer Puppe, die als ihre Doppelgängerin fungiert, und mit den Musiker*innen und Komponist*innen Neo Muyanga und Nancy Mounir. Regisseurin des Stückes ist Laila Soliman. Kristina Kilian, Lilli Pongratz und Julia Weigl haben Laila Soliman und Stacy Hardy in München getroffen.

Wie hat eure Zusammenarbeit angefangen?

Laila Soliman: Das war vor ziemlich genau zwei Jahren, als ich eingeladen wurde, in Dakar einen Workshop zu geben. Stacy hat dort aus ihrem Werk vorgelesen und mich sofort beeindruckt. Ich habe sie dann gefragt: ‚Ich weiß, dass du super viel zu tun hast, aber hättest du Lust aus diesem Stoff eine Performance zu machen?’ – und überraschenderweise hat sie direkt ja gesagt…

Stacy Hardy: Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich da einlasse. Aber irgendwie war unser erstes Treffen eine Mischung aus Zufall und Schicksal. Dakar liegt quasi in der Mitte zwischen Kairo und Südafrika. Ich kam aus dem Süden, Laila aus dem Norden und wir haben in der Mitte zueinander gefunden. Für ihren Workshop hat sie uns gebeten, persönliche Geschichten mitzubringen. Da musste ich gar nicht lange überlegen, denn ich habe nur einmal eine Art Tagebuch geführt und das war tatsächlich, als ich in Isolation war und mich gerade von meiner Tuberkulose-Erkrankung erholte.

Nun erzählt eure Performance aber nicht nur eine autobiografische Geschichte, sondern hat viele Ebenen – zum Beispiel auch eine politische…

Laila Soliman: Meiner Meinung nach kann man persönliche Geschichten nicht isoliert von ihrem Kontext und der Außenwelt betrachten. Das hat bereits Foucault geschrieben, wenn er von der Beziehung zwischen dem individuellen Kleinen, den Sorgen und dem großen Ganzen spricht, das von der Weltwirtschaft, Politik und den Menschen an der Macht bestimmt wird. Wenn ich also auf Themen stoße und dokumentarisches Material suche, dann beginnt für mich immer die Jagd nach Details und Geschichten, die so klein und persönlich wirken, aber in sich so viele Schichten und Anspielungen aufweisen, dass es sich nur richtig anfühlt, sie in einer kollektiven Art und Weise darzustellen – und für mich ist dieses Medium dann eben die Performance auf der Bühne. Stacys Geschichte hatte für mich genau all diese Aspekte: Sie lässt uns über Rasse, Klassen und Privilegien nachdenken, und ebenso über systematische Diskriminierung und den Einfluss, den die Politik auf die Medizin hat. Und am Ende geht es natürlich vor allem um den menschlichen Körper.

Stacy Hardy: Wenn man in einem Land wie Südafrika über Krankheiten – insbesondere über Tuberkulose – spricht, dann kann man das nicht isoliert von einem politischen Kontext tun. Die zwei Ebenen sind sehr eng miteinander verbunden. Schaut man sich etwa meinen Fall an und dessen bittere und zugleich schöne Ironie: Ich habe acht Jahre mit Tuberkulose gelebt, ohne dass sie diagnostiziert wurde. Das hat niemanden interessiert, da ich eine weiße Frau bin und diese Krankheit vor allem mit der schwarzen Bevölkerung Südafrikas in Verbindung gebracht wird. Bei mir dachten alle immer, ich hätte Magersucht, wäre Hysterikerin und ein Hypochonder – oder hätte irgendeine andere Krankheit, die man weißen zuordnen würde. Wenn man sich allerdings die Geschichte von Tuberkulose anschaut, erkennt man schnell, dass die Krankheit durch die Kolonisierung nach Südafrika kam. Allein diese Tatsache macht meine persönliche Erfahrung bereits zu einer vielschichtigen komplexen Geschichte. Dann wollte ich aber auch noch ein weitere Ebenen einbauen, indem ich die Löcher in meinem Körper mit den Löchern in der Erde vergleiche, die beim Bergbau entstehen. Während also Tuberkulose meinen Körper auffrisst, zerstört der Bergbau unser Land. Die zentrale Frage, die sich daraus für uns ergeben hat, ist: Stehen diese Löcher in einer konkreten Verbindung zueinander?

In MUSEUM OF LUNGS arbeitet ihr mit unterschiedlichstem Material, dokumentarisch, autobiografisch, musikalisch. Wie war eure Herangehensweise?

Laila Soliman: Während Stacy normalerweise eher einen poetischen Zugang zu ihren Themen findet, wähle ich meistens den Weg in die Archive. Da wir von Anfang an keine isolierte individuelle Geschichte erzählen, sondern gesellschaftliche Zusammenhänge herstellen wollten, waren unsere beiden Herangehensweisen eine wunderbare Kombination. So konnten wir Poesie und Archivmaterial miteinander verbinden. Natürlich war die Archivrecherche keine leichte Aufgabe für mich. Ich war mir stets bewusst, wie komplex es sein wird, schwarze Minenarbeiter und Tuberkulose-Patienten darzustellen. Denn die einzigen Geschichten, die man findet, sind objektive medizinische und bürokratische Berichte…

Stacy Hardy: …und das ist genau das Problem: Ein Blick in die kolonialen Archive zeigt sofort, dass die Perspektive der schwarzen Arbeiter komplett fehlt. Sie hatten keine Möglichkeit, ihre Geschichten selbst zu erzählen. Für uns hat das natürlich bedeutet, dass wir nach Alternativen suchen mussten, wie wir genau das abbilden können: Wie können wir diese Lücken sprechen lassen? Musik war da eine Option für uns. Denn wir wollten diese komplexe Beziehung der unterschiedlichen Stimmen in unserer Performance abbilden: Meine Stimme ist die der privilegierten weißen Gesellschaft, die natürlich in einem Spannungsverhältnis zu den abwesenden Stimmen steht.

Ihr arbeitet mit vielen unterschiedlichen Methoden in eurer Performance. Wie würdet ihr diese beschreiben? Lässt sich MUSEUM OF LUNGS überhaupt in eine einzige Kategorie, ein einziges Genre stecken?

Laila Soliman: Es gibt viele unterschiedliche Ebenen, aber natürlich war unser Ausgangspunkt Stacys Geschichte. Ich könnte für jede künstlerische Entscheidung und Methode einen konkreten Grund nennen, warum wir diese miteinander in Verbindung setzen. Allerdings interessiert mich das eigentlich nicht. Denn für mich geht es eigentlich nie um die Form, sondern um den Inhalt und die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Was sind die Geschichten, die das Publikum berühren können?

Lag dann schnell die Entscheidung nahe, dass Stacy ihre Geschichte selbst auf der Bühne erzählen müsse?

Stacy Hardy: Ich bin keine professionelle Performerin. Ich bin Autorin und verstecke mich für gewöhnlich hinter meinem Computerbildschirm oder hinter Büchern. Das war für mich eine große Herausforderung, aber natürlich habe ich Lailas Entscheidung verstanden, warum sie wollte, dass ich das selbst spiele. Für mich war der Prozess sehr spannend, ich konnte viel Neues lernen – und natürlich war es spannend zu beobachten, wie sich der Text für die Bühne adaptieren und etwa mit Musik erweitern lässt. Der Rhythmus von Text, Sprache und Musikalität hat mich schon immer fasziniert.

Laila Soliman: Ich arbeite ja häufig mit sehr persönlichen Geschichten. Ein Schauspieler kann diese nie so erzählen, wie der- oder diejenige, die diese Erfahrungen selbst gemacht haben. Natürlich könnte ein Profi andere Facetten besser darstellen. Aber es hat einfach einen besonderen Effekt, wenn jemand seine eigene Geschichte erzählt. Bei Stacy hatte das allerdings noch eine weitere Ebene: Denn sie erzählt nicht nur ihre eigene Geschichte, sondern ist natürlich auch eine versierte Autorin. Das war für mich ein spannendes Experiment.

Humor spielt in eurer Performance auch eine Rolle. Wie kam es dazu?

Stacy Hardy: Natürlich hört sich meine Geschichte erstmal wie eine schlimme Tragödie an. Doch eigentlich gibt es darin viele witzige Elemente. Medizinische Einrichtungen sind an sich komplex, absurd und oft auch witzig. Laila war es von Anfang an wichtig, nicht die tragische Seite meiner Krankheit zu zeigen, sondern vor allem auch die Ironie der ganzen Geschichte. Da war Humor natürlich ein passendes Mittel.

Premiere feierte eure Produktion in Südafrika, danach seid ihr damit nach Basel und Berlin gereist. Wie waren die Reaktionen im Publikum?

Stacy Hardy: In Südafrika war das auf jeden Fall eine besondere Erfahrung, da unser Thema dort natürlich politisch sehr aufgeladen ist. Alleine die Frage, ob eine weiße Frau diese Geschichte erzählen und so über Tuberkulose sprechen darf, ist kontrovers und komplex. Auf der anderen Seite ist der Humor für das Publikum dort zugänglicher. Die Witze, auf die wir anspielen, sind für ein südafrikanisches Publikum leicht zu entschlüsseln…

Laila Soliman: … die Zuschauer trauen sich einfach mehr zu lachen, weil ihnen alles so bekannt vorkommt. Es ist einfach leichter über etwas Witze zu machen, was man selbst erfahren hat oder kennt.

Stacy Hardy: … als wenn man über etwas spricht, was so weit weg von der eigenen Lebensrealität spielt. Das ist die eine Seite. Aber natürlich bin ich auch immer ein wenig skeptisch, wenn afrikanische Produktionen nach Europa eingeladen werden, da umgekehrt wenige europäische Produktionen nach Südafrika kommen. Bei MUSEUM OF LUNGS war das anders. Diese Geschichte ist auch in Europa verankert, da es um koloniale Strukturen und Machtverhältnisse geht – zentral natürlich um das Gesundheitssystem und den Bergbau, der ja vor allem von Europa mitfinanziert wird.

Laila Soliman: Wir haben das Stück auch in Kairo aufgeführt und ich habe mich immer gewundert, ob dort das Publikum zunächst ein bisschen skeptisch sein würde, da sich vielleicht nicht alle mit dem Thema identifizieren können. Allerdings konnten sich die Zuschauer dann sehr wohl auf die Fragen einlassen, die wir in unserer Performance aufgreifen…

Stacy Hardy: Krankheiten sind eine universelle Erfahrung, die wir alle teilen. Nimmt man mich als Beispiel, bin ich mittlerweile eine Art Archiv an Geschichten, die Leute mit mir geteilt haben, wenn es um Krankheit, Diagnosen und schlechte Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem geht. Was ist der Körper und wie wird damit umgegangen, wenn dieser plötzlich nicht mehr erfüllt, was er eigentlich soll? Damit spiele ich natürlich auch auf die Wahrnehmung und Rolle des weiblichen Körpers in der Gesellschaft an. Diese Themen funktionieren global und entsprechen dem Zeitgeist. Überall auf der Welt sucht man nach Alternativen, wie Körperbilder gesellschaftlich konnotiert sind. Ich glaube, da trifft unser Stück einfach einen Nerv.

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