SPIELART 2021

Impressionen der Angst

Am Wochenende war Halloween. Passend dazu wurden bei GLOBAL ANGST gesellschaftliche Ängste ausgetrieben. In einem Parlament wurden sie zunächst gesammelt – Speaker*innen sprachen über Klimaangst, Körperangst oder das Unbehagen von Minderheiten, aber auch das Publikum konnte seine Ängste einreichen. Am Sonntag wurden sie dann in einer Parade durch die Innenstadt getragen und in einem Ritual mit einem Wicker Man verbrannt.

Das vergangene Wochenende bei SPIELART stand ganz im Zeichen der Angst, der GLOBAL ANGST um genauer zu sein – so der Name des vielschichtigen von Julian Warner kuratierten Projekts. Am Freitagabend tagte erstmalig das Parlament der Angst, das in einer Eröffnungszeremonie vorgestellt wurde und von den Musiker*innen Zachary Watkins sowie Mitgliedern von The Notwist adäquat untermalt wurde. Im Laufe des Abends beschäftigte sich das Parlament mit UNIVERSAL ANGST, exemplarisch mit den Speaker*innen Timnit Gebru, die über ihre einstige Arbeit bei Google sprach und Dolkun Isa, der Präsident des Uigurischen Weltkongresses. Den Abschluss lieferten Slavs & Tatars mit einer Lecture Performance. Am Samstag wurde es ein umso längerer Tag für die Parlamentarier*innen, denn schon ab 12 Uhr tagte das Parlament erneut für eine Vielzahl an Vorträgen, Talks und Lecture Performances. Ganz gleich ob KLIMA ANGST, die ANGST DER ANDEREN, KÖRPER ANGST oder der ÖKONOMIE DER ANGST: im Parlament fanden alle Positionen ihren Platz und die Zuschauer*innen wurden selbst Teil des Ganzen, indem sie sich einerseits mit Fragen an den Diskussionen beteiligen konnten und andererseits auch ihre eigenen Ängste verschriftlicht einbringen konnten. In einem großen Finale folgten darauf eingehend die Deklarationen der Ängste. Zum dystopischen Soundtrack der Musiker*innen verlasen die Parlamentarier*innen die Ängste und führten so das Parlament der Angst zum Höhepunkt.

Am Sonntag, dem Tag vor Allerheiligen, war es dann an der Zeit, die im Parlament gesammelten Ängste in einer Parade der Angst durch die Münchner Innenstadt zu tragen. Dabei waren neben hunderten Zuschauer*innen vor allem zivilgesellschaftlichen Gruppen, wie #ausspekuliert, der Bayerische Flüchtlingsrat, die Burschenschaft Molestia, Extinction Rebellion, Randgruppenkrawall, der Weltkongress der Uiguren und vielzählige andere beteiligt, die beim Gang durch die Stadt deutlich machten, wie vielschichtig Ängste sein können. Angekommen im Olympiapark, dem finalen Ort des Abends, wurden die gesammelten Ängste von einer Delegation des Parlaments an die Zeremonienmeisterin Anna McCarthy übergeben.

Diese bot dann den Zuschauer*innen unter dem Titel IT’S A STAKE STRIKE eine abstrakte Oper im öffentlichen Raum des Olympiaparks. Rundherum um den Olympiasee sammelten sich rund 2.000 Interessierte, die dem Spektakel beiwohnten. Anna McCarthy schlüpfte dabei in die Rolle der Lucy Strike und erinnerte so in ihrer Performance an aktuelle und vergangene Opfer von Bigotterie und Gewalt, darunter Oury Jalloh oder die bayerische Jugendliche Anneliese Michel, die in den 1970er Jahren aufgrund ihrer Epilepsie 67 Exorzismen über sich ergehen lassen musste. Als Höhepunkt der radikalen Oper wurde eine kolossale menschenähnliche Figur aus Korbweidengeflecht, der sogenannte Wicker Man, in der Mitte des Olympiasees entzündet und brannte vor den Augen der Anwesenden zum Schluss der Performance vollständig nieder. Ein intensives Ende für ein sehr intensives Wochenende, das hier in einer Auswahl an Bildern der Fotograf*innen Priscillia Grubo und Michael Hofmann noch einmal zum Leben erweckt wird.

Christoph Neder

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