SPIELART 2021 Spielart Discovery

FOUR MONTHS FOUR MILLION LIGHT YEARS – Gespräch transzendenter Stimmen

In der Inszenierung FOUR MONTHS FOUR MILLION LIGHT YEARS werden viele Themen, die räumlich und zeitlich weit verstreut liegen, gemeinsam erzählt. Es bildet sich keine Vielstimmigkeit, sondern eine einzelne, wabernde künstlerische Stimme, die Jahrhunderte durchdringt und Reisende ist, weit abseits von genormten Vorstellungen, von Zeit oder Erzählkonventionen. Die Stimme eines vieler reisender Kinder, die von Geburt an instrumentalisiert werden – von Seiten der Aufgebenden für Geld, von Seiten der Kaufenden für die Aufhebung eigener Schuldgefühle. Die Stimme einer Teufelspriesterin. Die Stimme kolonialer Aufzeichnungen, die die Bilder, die das neue Land von den Kindern hat, über Jahrhunderte geprägt haben. Die Stimme weißer Menschen nach dem Krieg, weißer Menschen nach der Kolonialzeit, weißer Menschen jetzt, die versuchen mit der eigene Schuld und Geschichte umzugehen und dabei aus einer wahnsinnigen Machtposition weiter und weiter Schäden anrichten. Es werden Kinder gestohlen und auf dem Papier zu Waisen gemacht, damit weiße Menschen sich beim Kauf erzählen können, sie würden sie retten. Es ist eine Verkaufsstrategie. Es geht um den Wert europäischen Geldes in Korea.
Die Themen werden verschmolzen und nicht wieder erklärend aufgetrennt. Die Künstlerin sagt im Nachgespräch: „Das ist keine Dokumentation. Jeder kann daraus mitnehmen, soviel er eben kann. Manche ganz wenig, manche sehr viel und das ist okay.“ Was man mitnehmen kann hängt nicht davon ab, wie aufnahmebereit man ist, sondern wer man ist. Die Erzählstimme hat nicht das Gefühl, die Geschichte für alle erklären zu müssen. Sie muss keine Stimme gewinnen, sie nicht für weiße Menschen verständlich machen. Sie hat eine Stimme.
Ich bin weiß und ich nehme die andere Seite der Geschichte mit. Ich bin nicht das Kind, das fälschlicherweise als Waise erklärt und verkauft wird. Ich bin die Person, die es kauft, im Versuch mit white guilt umzugehen. Ich bin Teil der Menschen, die Kinder als Neuanfang und nicht als Personen sehen. Die nicht sehen, dass Weltpolitik nicht einfach in der Kleinfamilie aufhört. Die nicht sehen, dass das Aufzwingen eigener Weltvorstellungen riesige Zerstörung beinhaltet. Auch diese Stimme zieht sich durch die Jahrhunderte, durch das Land und durch die gestohlenen Kinder. Ich kann in dem Stück eine eigene transzendierende Stimme erkennen, weil ich nicht mit Empathie beschäftigt bin. Es gibt keine Einzelfallgeschichte, keine Komplettentblößung eines Opfers auf der Bühne. Es geht um die Strukturen und was sie mit den Beteiligten machen. Und sie zeigt durch die Möglichkeit, sich vermischender Zeiten und Personen, wie wir alle beteiligt sind. All das summend und leise, durchzogen von zeremoniellen Rhythmen.

Im Vorfeld des Festivals hat die Lyrikerin und freie Theatermacherin Thalia Schoeller im Rahmen von SPIELART Discovery zu einigen Produktionen assoziativ Gedichte geschrieben. Während des Festivals wird sie Kritiken schreiben und so eine literarische Umrahmung ihres Festivalerlebnisses schaffen, von Vorfreude zum Nachgespräch. 

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