SPIELART 2013

Kornél Mundruczós vermeintlich letzter Ausweg

„Suicide is painless“

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Der ungarische Theater- und Filmregisseur Kornél Mundruczó konfrontiert in seiner neuen Produktion „The Day Of My Great Happiness“ seine Heimatgesellschaft mit dem vermeintlich letzten Ausweg Selbstmord. Trotz aller Trauer und Düsternis, die mit diesem „Ausweg“ verbunden ist, ist Mundruczós Arbeit auch von jener Vitalität geprägt, die den Ungarn früher den Ruf einbrachte, die „lustigste Baracke des Sozialismus“ eingerichtet zu haben. Und ebenso ist der Trotz zu spüren, der die Magyaren einst von Istanbul und Wien aus, später aus Moskauer und aktuell aus Brüsseler Perspektive als unsichere Kantonisten erscheinen lässt. Eine Reise in ein Land der Widersprüche und zu einem Künstler, der sich diesem Land −  an ihm leidend − verbunden fühlt, der aber in der Betrachtung seines Werks nicht nur auf seine Nationalität reduziert werden sollte.

Ungarn ist in Aufruhr. Eine dunkle zornige Energie scheint sich der Menschen bemächtigt zu haben. Sie lässt die Budapester, die in den breiten Straßen die Auslagen von Zara, Mango und Sisley passieren, verschlossen wirken. Die noch vorhandenen Läden erinnern sie schmerzhaft an die Geschäfte, die einst Konsum und damit irgendwie auch Freiheit versprochen hatten und mittlerweile zugesperrt wurden, weil es an potenter Kundschaft fehlte. An den Scheiben vieler Häuser in bester innerstädtischer Lage kleben Zettel, die nach neuen Mietern suchen. „Den oberen 10.000 geht es gut. Aber es fehlt ein Mittelstand, der die Basis der Gesellschaft darstellen könnte“, meint Dóra Büki, Mitbegründerin des Proton Theatre, der Theaterbasis des Budapester Film- und Theaterregisseurs Kornél Mundruczó.  […]

Ein sehr präsentes Motiv in Kornél Mundrusczós neuem Stück „The Day of My Great Happiness“ ist der Selbstmord . „Suicide is painless“, singt sofort seine Ko-Autorin Kata Wéber, als das Gespräch dieses Thema berührt, und Mundruczó, ein freundlicher, eher sanft als zornig wirkender Mann, fällt bitter lachend ein. Als „einzigen Ausweg für eine Gruppe von drei Männern und zwei Frauen, die nichts gemeinsam haben, die weder traurig noch verzweifelt sind, aber doch ermüdet vom Überlebenskampf im Labyrinth einer Gesellschaft inmitten von Krise und Korruption“ kündigt eine frühe Projektstudie von „The Day Of My Great Happiness“ den kollektiven, per Internet verabredeten Selbstmord an. „Facebook hat Revolutionen ausgelöst. Kollektiver Selbstmord ist die Revolution der Hoffnungslosen“, meint Mundruczó lakonisch.

Hat dies mit Ungarn, mit der aktuellen Situation im Lande zu tun? „Ja“, sagt Mundruczó schlicht. Ist die Lage so schlecht, dass er, dass seine Truppe Selbstmord als Ausweg tatsächlich vorschlägt? „Das ist eine Metapher. Als Ausweg ist das natürlich absurd. Aber wenn wir das auf die Bühne holen, ist es das genaue Gegenteil. Wenn wir dort Selbstmord vorschlagen, ist das ein großes Ja zum Leben, ein Ausrufezeichen“, meint Kata Wéber, eine lebhafte junge Frau, die einst Schauspielerin in Mundruczós Filmen war und jetzt mit ihm Theater- und Filmskripte schreibt, darunter auch das Aktuelle. Ihre muntere Lebenszugewandtheit fährt wie ein Blitz in die schwermütige Café-Gesellschaft des Mundruczó-Teams, die im Kontrast dazu freilich umso dunkler wirkt.

 

Unnütze Menschen?

„Es geht in dem Stück um unnütze Leute, darüber, wie schnell du unnütz werden kannst“, sagt Mundruczó – und konkretisiert das gleich für die eigene Lebens- und Arbeitssituation: „Wir als unabhängige Gruppe fühlen sehr stark, wie schnell man unnütz für die Gesellschaft, für den Staat werden kann. Es ist ein harter Kampf, um als unabhängiger Künstler zu überleben.“

Unmut und Bestürzung hatte im Frühsommer eine vom Minister für „Human Ressources“, einer Mega-Behörde für Gesundheit, Bildung, Sport und Kultur kolportierte Bemerkung ausgelöst, nach der die freien Künstler doch so frei und so populär seien, dass sie kein Geld vom Staat benötigten. Ob das ernst zu nehmen ist, ist in der Szene umstritten. Aber das Signal ist verheerend. „Wir wissen nicht, ob sie nicht vielleicht an einem soliden Plan arbeiten, oder ob sie tatsächlich alle Fördermittel streichen wollen. Man kann sich aber auf nichts verlassen. Und das macht die Situation so schwierig“, sagt Béata Barda vom kommunal finanzierten Theaterhaus Trafó. Das vor 15 Jahren in einem ehemaligen Transformatorhaus eingerichtete Theater mit einem Saal für 400 Zuschauer ist als Spielstätte für Ungarns freie Szene und Austauschplattform für die europäische Avantgarde – Forced Entertainment und teatr.doc waren eingeladen, Lloyd Newsons DV8 und Constanza Macras ebenso − in seiner Bedeutung für das Land mit dem Berliner HAU vergleichbar. Das Trafó hat bisher auch die meisten Produktionen Mundruczós koproduziert und ist bei „The Day Of My Great Happiness“ ebenfalls beteiligt.

Barda zeichnet trotz aller Probleme und Befürchtungen ein differenziertes Bild, in dem Arbeiten möglich, wenn auch nicht einfach ist. Sie kommt auf das legendäre Performing Arts-Gesetz zu sprechen, das 10Prozent des Budgets der Stadt- und Staatstheater der freien Szene zur Verfügung stellen sollte. Es war nur kurze Zeit in Kraft. Die 10 Prozent wurden unter Orbán von Jahr zu Jahr reduziert und im Gegenzug die Bedingungen verschärft. Dass man als so agile Theatertruppe wie das Proton Theater nicht mit einer staatlichen Förderungen rechnen kann ist bedauerlich, so Büki. Strukturell scheinen die kulturpolitischen Überlegungen in Ungarn dennoch weiter gefasst zu sein als etwa in Deutschland. Noch ein Gesetz, dieses Mal von der oft gescholtenen Orban-Regierung in Kraft gesetzt, überrascht: Steuervergünstigungen animieren Unternehmen, Geld in Kunst und Sport zu stecken. „Bis zu 80 Prozent unserer Ticketeinnahmen können wir aus diesem Topf erhalten“, sagt Trafó-Mitarbeiterin Barda. Zweischneidig freilich sei der damit verbundene Anreiz für Theater, durch Erhöhung der Ticketpreise diese Art des Zuschusses zu erhöhen, kritisiert sie.

Dass die freie Szene dennoch darbt und Mundruczó beispielsweise für seine Theaterproduktionen dringend auf Koproduktionspartner aus dem Ausland angewiesen ist, hat mit der politischen Willkür zu tun, nach der im ungarischen Theaterbetrieb nach Meinung vieler einheimischer Beobachter Posten und Etats vergeben werden.

 

Auszug aus: Tom Mustroph: „Suicide is painless“ In: Das SPIELART Festival München. Theater der Zeit. 2013,  S. 166-170

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