SPIELART 2013

Wie entstand SPIELART ?

Tilmann Broszat und Gottfried Hattinger 2009

Tilmann Broszat und Gottfried Hattinger 2009

Die Festivalleiter Tilmann Broszat und Gottfried Hattinger über die Anfänge von SPIELART

 

 

Tilman Broszat, aus welcher Situation heraus ist SPIELART entstanden?

Tilman Broszat (TB): 1993 fand in München mit großem Erfolg beim Publikum das Festival Theater der Welt statt. Hier wurde deutlich, wie groß in der bayerischen Landeshauptstadt die Nachfrage nach neuen, internationalen Theaterformaten war. Das Münchner Publikum zeigte Interesse an anderen Spiel- und Sehweisen. Ich hatte damals bei Theater der Welt als Managing Director gearbeitet, davor im Art Bureau von Thomas Petz, einem Münchner Theaterproduzenten, der fernab von Lloyd Weber & Co Kontakte zur internationalen  Avantgarde pflegte. Er veranstaltete von 1979 bis 1985 das Münchner Theaterfestival.  Aus dieser Tradition heraus gründete ich gemeinsam mit Gottfried Hattinger 1995 das SPIELART Festival: Wir konnten das Kulturreferat und Spielmotor e.V. , der 1979 als Private-Public-Partnership zwischen der BMW AG und der Landeshauptstadt München gegründet wurde, von unserer Idee eines biennalen Off-Theater- und Performance-Art-Festivals überzeugen, besondere kulturelle Aktivitäten zu fördern oder überhaupt erst möglich  zu machen.

 

Was war Eure Intention?

Gottfried Hattinger (GH):  Im damaligen Umfeld eines traditionellen klassischen Theater-Verständnisses wollten wir ein Forum für neue Theaterformen jenseits des Ensemble- und Repertoirebetriebs schaffen. Grund war, dass wir das Theater damals als wenig glaubwürdig empfanden. Da standen Schauspieler auf der Bühne, die uns mit mehr oder weniger pathetischem Gestus einen Text wiedergeben wollten, der nicht der ihre war. Gerieben haben wir uns am überkommenen Theaterkünsteln, am routinierten, unglaubwürdigen Deklamieren und Inszenieren. Es ging immer nur um ein „als ob“, um Illustration, nie um erfahrbare künstlerische und soziale Realität.

 

TB: …Dies war umso auffälliger, als in Deutschland in den 1990er Jahren gerade die sogenannte „Neue Dramatik“ mit sozialkritischen Texten für die deutschen Bühnen entdeckt wurde. Neue Inhalte und Sprachen waren zu hören, aber die Spiel- und Produktionsweise der Theater änderte sich überhaupt nicht. Statt Schillers „Räuber“ sah man nun „Shoppen und Ficken“. Doch dieses Theater war in unseren Augen unsexy. Es hatte keine Antwort auf die grundsätzliche ästhetische Erfahrung der damaligen jungen Generationen, die durch die Popkultur, deren emotionale Kraft und selbstverständliche Internationalität geprägt waren und es war unserer Ansicht nach auch unpolitisch, weil es die Repräsentation auf der Bühne nicht in Frage stellte.

 

Was war neu an SPIELART?

GH: In erster Hinsicht waren es formale Aspekte. Heiner Müller hatte einst behauptet: „Das utopische Moment liegt in der Form. Doch wir suchten nach neuen, überzeugenden Kongruenzen zwischen Inhalt und Form, nach neuen Ästhetiken, anderen Spiel- und Sehweisen, Räumen, Medien. Auch um das Ausloten des sozialen Ortes Theater, um den Begriff der Authentizität, um ein neues Beziehungsverhältnis zwischen Akteur und Publikum. Um die Auflösung hierarchischer Strukturen etc. – das waren für uns die wesentlichen Ausgangsfragen.

 

TB: Ein weiterer bis heute für SPIELART wesentlicher Aspekt ist die Frage, in welche Position Künstler ihr Publikum oder besser den jeweils einzelnen Zuschauer rücken. Welche Erwartungshaltungen hat er? Kann ich ihn dazu bringen, antrainierte Sehgewohnheiten über Bord zu werfen, wie setzt sich eine Vorstellung (im doppelten Wortsinn) „im Kopf“ des Einzelnen erst zu einem je individuellen Ganzen zusammen? Wie kann der Einzelne sich selbst beim Zusehen zusehen? Wie wird er Ko-Produzent dessen, was gerade live geschieht? Künstler wie Jerôme Bel, Stefan Kaegi, Cuqui Jerez und viele andere SPIELART-Künstler haben mit dieser Fragestellung gearbeitet.

 

Warum findet SPIELART nur alle zwei Jahre statt?

TB: Der Träger von SPIELART ist der Verein Spielmotor e.V.. Er ist Veranstaltungspartner für zwei weitere biennal stattfindenden Festivals: die Münchner Biennale,  das internationale Festival für neues Musiktheater und DANCE, das Münchner Festival für zeitgenössischen Tanz. SPIELART findet dann statt, wenn die beiden anderen Festivals pausieren.

 

Das bleibt viel Zeit zur Vorbereitung…

GH: Es hat Vor- und Nachteile: Einerseits haben wir viel Zeit zum Reflektieren, Suchen, Finden und Überblicken. Andererseits können die Künstler, die wir während SPIELART zeigen, nicht kontinuierlich an München binden.  Wir können sie nicht in einem breiten Kontext präsentieren, sie kaum in die lokale Szene einbinden. Dass München kein  festes Produktionshaus besitzt, fällt umso stärker ins Gewicht.

 

SPIELART unterscheidet sich von anderen Theaterfestivals. Es findet nicht im Sommer statt.

TB: Das ist nur auf den ersten Blick ein Nachteil. Spektakuläre Freilicht-Aufführungen mit denen  die Salzburger Festspiele oder Avignon auftrumpfen, können und wollen wir nicht bewerkstelligen.  Für SPIELART stand dennoch von Anfang an der spezifische Aufführungsort im Vordergrund. Die Wahl des Spielortes ist Teil der künstlerischen Aussage, wie z.B. eine Installation mit Insekten in der Fußgängerzone. Wir hatten Performances im Hauptbahnhof, im Foyer des Hauptgebäudes der Ludwig-Maximilians-Universität, brasilianische Polizisten im Rechenzentrum, polnische Performer in einer Filiale der Stadtsparkasse oder haben einen Eisenbahn-Waggon, ein Sammlungsstück des Deutschen Museums bespielt.

 

GH: Die dunkle Jahreszeit lädt auch eher zum Kunstgenuß ein. Man rückt  zusammen und konzentriert sich auf unser reiches Rahmen- und Nebenprogramm wie die Diskurs- und Performance-Happenings. Wir sind auf den kreativen In- und Output unserer Diskursreihe WAKE UP! Versammlung für ein anderes Europa,  die heuer vom 22. bis 24. November im Muffatwerk stattfinden wird, schon sehr gespannt.  Unser Installationsprojekt CITYWORKS ist ein Containerparcours,  der besonders die enge Verzahnung von SPIELART und der Landeshauptstadt München besonders zu verdeutlichen mag.

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