SPIELART 2021

Coucou aus N’Djamena II

Sarah Israel, Dramaturgin der Produktion THE DRYING PRAYER, berichtet von den Proben im Tschad.

Liebe Kooperationspartner*innen,

ich hoffe, ihr alle seid wohlauf und hatte erholsame Ferientage.

Hier schreiben wir Woche fünf in N’Djamena im Tschad und somit die fünfte Woche im Probenprozess des Projektes THE DRYING PRAYER. Ich möchte Euch mit dieser Mail einen kleine Einblick geben in den aktuellen Stand, damit ihr eine Idee davon habt, was hier schon alles passiert ist und noch passieren muss.

Vielleicht vorab einen Sache: Proben in N’Djamena bleibt wie ein Akt des permanenten Widerstandes und ist wirklich ein ganz eigene Form von Kraftanstrengung. Damit meine ich, dass der tägliche Kampf gegen das Fehlen einer guten/fördernden Infrastruktur zum Proben und Arbeiten hier einfach zum Alltag von Künstler*innen gehört, so wie das Überleben in einer mangelhaften Infrastruktur der Alltag der Tschader*innen ist. Es ist erstaunlich, wie schnell im Run des Alltages vielen Dinge „normal“ werden. Es ist an sich nicht normal, dass ein Land wie der Tschad keine einzige richtig gute Bühne hat, außer jener, die das Institut Francais für sein Programm in Teilen zur Verfügung stellt. Da es aber Kraft raubt, sich jedes Mal wieder über den Staat, die politische Riege, den andauernden Kolonialismus etc. aufzuregen, wird einfach mit diesem Fakt umgegangen und weiter gearbeitet. Ich persönlich besuche den Tschad seit 2013 regelmäßig. In diesen neun Jahren hat sich keine einzige der hier lokalen Bewegungen im Kunstbereich aufgrund einer Förderung oder einer Zuwendung des Staates gut entwickeln können. Wir arbeiten somit schlicht in einem Land, das wirtschaftlich zu den ärmsten der Erde zählt und in dem es seit dem Ende des Kolonialismus politisch kein Staatsspitze gegeben hat, die sich tatsächlich um das Volk, die Menschen, ihre Bedürfnisse, die Notwendigkeit einer funktionierenden Wirtschaft u.v.w. gekümmert hat.

Dies nur nochmals als reminder, wo wir hier Proben. Die Umgebung sagt nichts über die Stimmung, nichts über das Zusammensein, N’Djamena ist eine Stadt der „ambience“ in der die Menschen sich, so gut sie können,  durchschlagen. Wir sind hier alle wohlauf und raufen uns zusammen, suchen nach dem, was wir gemeinsam vermitteln möchten, eine Sprache, einem Ansatz, ….

Viel ist passiert in unseren Probenwochen. Sowohl in den verschiedenen Probensituationen als auch bei den Gespräch in der Pause, nach den Proben.

Wir hatten zunächst 10 Tage einen Probenraum im Centra Al Mouna, sind dann für vier Tage an den Tschadsee gependelt (morgens 2,5 Stunden hin und am Nachmittag zurück, da nach der Dunkelheit die Region aktuell einfach zu unsicher und gefährlich ist), haben dann in einem sehr großen Garten mit drei sehr schönen Probeninseln gearbeitet, waren dann auf der Bühne des „Ballet National“ und sind jetzt auf der Bühne des Institut Francais, auf der wir am Freitagabend einen Einblick in den aktuellen Arbeitsstand geben.

Die Ausflüge an den Tschadsee waren sehr eindrücklich und waren ein gutes Pendant zu der sehr theoretischen und ausführlichen inhaltlichen Auseinandersetzungen mit der Situation um den Tschadsee, die wir in den ersten Tagen hatten. Wir haben das Dorf Mérétiné kennen gelernt, ein 8000 Seelen Dorf und dort sehr viel über das Leben am See, jüngste Entwicklungen, Probleme, Gewalt der Boko Haram etc. erfahren.

Seitdem arbeiten wir daran, einen Ausdruck für all unser Wissen und all unsere Gedanken und Beobachtungen auf der Bühne zu finden. Erste Dinge zeichnen sich ab, aber es gibt noch viel zu tun, damit es ein Abend wird, der rund ist und eine Form von Komplexität wiederspiegelt, die wir gesehen/gehört und auch erlebt haben.

Sicher ist, dass im Zentrum des Stückes die Frage die Abhängigkeit um /von einer Ressource steht, und vor allem die Frage der Bedeutung der Gemeinschaft, deren Zusammenhalt; Zerfall, Kraft und Möglichkeiten. Ich sehe aktuell eine Dramaturgie in verschiedenen Bildern, die sich jeweils verschiedenen Aspekten widmen. 

Sicher ist, dass wir am Ende des Stückes träumen und uns erheben werden. Entgegen aller negative Beschreibungen gibt es hier in der Gruppe einen starken Glauben daran, dass die Menschen vor Ort hier alleinig die Kraft für Veränderung sein können, da sie schon jetzt diejenigen sind, die es immer wieder schaffen sich an die ganzen Veränderungen anzupassen, mit ihnen umzugehen und irgendwie ein Leben zu machen. Wir träumen aber von einer Erhebung, ein Aufstehen und auch eine Form von Anklage und Reklamation. D.h eine Gruppe von Körpern, die sich über den Verlauf des Stückes um eine bestimmte Ressource herum findet, Dinge erlebt, zusammenfindet, zerfällt, begegnet, erhebt und am Ende gemeinsam aufsteht und geht auf das Publikum zu, um zu zeigen, dass es ein Kraft gibt und Forderungen … Also, das ist, was ich aktuell erfasse und was wir diskutieren – natürlich ist das jetzt so noch nicht da, aber ich denke, wir teilen alle den Willen, dass wir dies auf die Bühne bringen.

Voilà. Es ist eine lange Mail und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich gar nicht so viel erzählt habe von all dem, was wir hier gesehen, erlebt und gemeinsam erfahren haben.

Alles Gute und herzliche Grüße,

Sarah

Related Posts