CHASING RAINBOWS SPIELART 2017

Und Zuma lacht – Boyzie Cekwana über Vätermythen und nackte Könige

Es war eine Meldung aus dem Sommer diesen Jahres, die hierzulande kaum Aufmerksamkeit erregte: die Wasserkrise in Südafrika, die steil ansteigenden Wasserpreise, die offiziellen Notverordnungen und „Water Restrictions“, die das Gartengießen und Autowaschen verboten und jedem nahelegten, weniger zu duschen und sich genau zu überlegen, wie häufig man die Klospülung bedienen muss. Kapstadt leidet unter der schlimmsten Dürre seit 113 Jahren, neben Mißwirtschaft und Planungsmängeln wird auch der Klimawandel für diese extreme Wasserknappheit verantwortlich gemacht. Die Krise hat sich über Jahre angekündigt. Es gab öffentliche Anhörungen im Parlament. Und der südafrikanische Präsident Jacob Zuma lachte – was in zahlreichen Videos dokumentiert und diskutiert wurde.

Jacob Zuma, der 75-jährige Parteivorsitzende des African National Congress (ANC) und südafrikanische Präsident, hat unzählige Korruptions-, Steuerhinterziehungs- und Geldwäschevorwürfe überlebt, ebenso wie Vorwürfe der Vergewaltigung. Er gilt als „Teflon-Präsident“. Und nicht nur dem Talk-Show-Host und Stand-Up-Comedian Trevor Noah sind die Parallelen zum amtierenden US-amerikanischen Präsidenten aufgefallen, wie dieser Clip aus der TV-Satiresendung „The Daily Show“ zeigt.

Bei Boyzie Cekwana sind Zuma und Trump Prototypen für all die narzisstischen, überheblichen, sich über dem Gesetz wähnenden und sich und ihre Familien bereichernden Herrschertypen, die es freilich nicht erst in unserer Zeit zu entdecken gibt. Der König, der zu Beginn von THE LAST KING OF KAKFONTEIN die Bühne beherrscht, ist quasi nackt, nur mit Slip und Bademantel begleitet – und wer muss da im Herbst 2017 nicht auch gleich an den König von Hollywood, Harvey Weinstein, denken, der in diesem Aufzug Audienz zu halten pflegte. Bei Cekwana ist der nackte König aber auch jeder beliebige, selbstgefällige koloniale Herrscher, sei es Wilhelm II. oder Leopold II. oder seien es selbsternannte despotische „Väter der Nation“ wie etwa Ugandas Idi Amin oder Simbabwes untotem Robert Mugabe. Und schließlich erinnert der letzte König der „Scheißquelle“, wie er so auf seinem Thron lümmelt, natürlich auch an den Übervater aller primitiv-eigensüchtigen wie populistischen Herrscher: König Ubu.

Der 1970 in Soweto geborene Performer, Tänzer, Musiker und Choreograf Boyzie Cekwana gilt als einer der radikalsten und innovativsten zeitgenössischen politischen Künstler Südafrikas. Mit 18 Jahren gründete er in den South Western Townships (so der ausgeschriebene Name Sowetos) seine erste Compagnie. Mit 23 Jahren wurde er als Tänzer und Choreograph von der Playhouse Dance Company in Durban engagiert. 1995 gelang ihm mit „Brother, Brother“  der internationale Durchbruch und nur wenig später gründete er mit der Tänzerin und Choreografin Desiré Davids in Durban „The Floating Outfit Project“, als dessen künstlerischer Leiter, Choreograf und Performer er bis heute tätig ist.

THE LAST KING OF KAKFONTEIN ist ein ruhiger, besonnener, fast philosophischer Abend. Beiläufig sinniert Boyzie Cekwana über die Figur des Vaters, über das Sprachbild, über die patriarchale Ideologie, die uns „Vaterland“ und „Gott Vater“ beschert hat, aber auch den „Vater der Nation“ oder „Father Christmas“, der in den Übertiteln als „Väterchen Frost“ übersetzt wird. Mit refrainartigen Wiederholungen und als poetische „Spoken Word“ Performance wird die Situation von Besatzung und Kolonialisierung geschildert und die Macht von Gerüchten in postfaktischen, populistischen Zeiten. Cekwana adressiert das (europäische) Publikum direkt, bietet einen Abend aus den drei Komponenten Tanz, Poesie und Gesang an, und schränkt gleich ein, dass das Publikum wohl nicht alles verstehen werde. Dann verabschiedet sich der Darsteller des nackten Königs mit dem Hinweis von der Bühne, dass er sich für die Performance nun erst aufwärmen und umziehen müsse. Das Saallicht geht an und das Publikum bleibt mit der leeren Bühne zurück. Das alles geschieht unheimlich entspannt, souverän und selbstverständlich lässig.

Als Cekwana nach einigen Minuten in Shirt und Camouflage-Uniformhose zurückkehrt beginnt eine multimedial-vielschichtige Performance, die verschiedene künstlerische Ausdrucksmittel geschickt kombiniert. Artistische Aufwärmübungen mit Autoreifen gehen über in biographische Kindheitserinnerungen vom Aufwachsen in Soweto, wo die Kinder sich in die Autoreifen quetschen ließen, um dann von den Freunden die Straße entlang gerollt zu werden. Wo Wettrennen um die dicksten Reifen veranstaltet wurden und akrobatische Street Dance Moves mit den Autoreifen denjenigen Respekt einbringen konnten, die beim Rennen nicht ganz so schnell waren. Wo versteifte Autoreifen aber auch ganz praktisch als Befestigungen der Wellblechdächer dienten und bei den häufigen Gewittern als geradezu magische Blitzableiter eingesetzt wurden. In Audio-Einspielungen und im Spoken Word Vortrag werden Geschichte und Alltag Johannesburgs in Erinnerung gerufen. Eine Stadt, die auf Gold- und Diamantminen gebaut ist, und ihre Herren in der Vergangenheit wie auch heute reich gemacht hat.

Assoziativ entwickelt sich das Bild einer populistischen wie dystopischen Gegenwart. Toneinspieler von Zumas Lachen und Trumps sexistischen und rassistischen Sprüchen führen zum Sinnieren über die Ahnungslosigkeit kleiner Kinderhände, die mit Reifen spielen und nicht wissen, dass im Kampf um Rohstoffe und bei der Ausbeutung versklavter Arbeiter das Abhacken von Händen eine übliche Bestrafungsmethode ist. Wie mit der Aufarbeitung der Vergangenheit aber auch der Blick auf die Zukunft verloren geht. Wie sich eine Erschöpfung breit macht. Desillusionierung. Und wie Männer mit fragilen Egos die Macht an sich reißen können.

THE LAST KING OF KAKFONTEIN ist ein überraschend besonnener, ruhiger und poetischer Abend, dessen Lässigkeit vielleicht auf manchen Zuschauer etwas unscheinbar wirkt. Aber der feine, spitze und bissige Humor, die abrupten Wechsel von konkreten und abstrakten Bezügen und das konzentrierte Charisma Boyzie Cekwanas fesseln und wirken deutlich länger nach als die schrillen und lauten Überwältigungsstrategien manch anderer Künstler.

In München ist eine – im Vergleich zu den Aufführungen beim Zürcher Theater Spektakel oder Festival d’Avignon – reduzierte Fassung von THE LAST KING OF KAKFONTEIN zu sehen – ohne die Mitwirkung des Gitaristen Madala Kunene und der Sängerin Mandisa Nzama.

THE LAST KING OF KAKFONTEIN // BOYZIE CEKWANA // DURBAN // DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG // 30.10. 19.00-20.00; 31.10. 17.00-18.00 // ENGLISCH MIT DEUTSCHEN ÜBERTITELN // CARL-ORFF-SAAL

KÜNSTLERGESPRÄCH NACH DER VORSTELLUNG AM 31.10.

Bei CROSSING OCEANS nimmt Boyzie Cekwana am 5.11. an der Panel-Diskussion zu DECOLONIZING EVALUATION teil.

 

 

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