CHASING RAINBOWS SPIELART 2017

Crashkurs „Südafrikanisches Theater“: Interview mit Jay Pather

Mit der Reihe „Chasing Rainbows“ hat das Spielart Festival dieses Jahr einen Südafrika-Schwerpunkt. Was treibt die dortigen Künstler um? Und was macht sie so interessant für ein Publikum im fernen München? Wir haben Jay Pather gefragt, einen der maßgeblichen Theater- und Performance-Kuratoren Südafrikas.

Lieber Jay, was hat es mit dem Namen „Chasing Rainbows“ auf sich?

Rainbow Nation“ wurde als Begriff benutzt, um die Transformation Südafrikas nach dem Ende der Apartheid zu beschreiben. Die Idee war, auf friedliche Weise eine neue Nation zu entwickeln, als positives Beispiel für die ganze Welt. Nicht nur die Gewalt der Apartheid, sondern auch die Gegengewalt sollte in ihr überwunden werden. Aber das Symbol des Regenbogens war natürlich nicht neu, sondern zuvor schon verbunden mit der Queer-Szene. Alle Farben, alle Hautfarben sollten gleichwertig nebeneinander bestehen.

Inwieweit hat sich dieses Versprechen eingelöst?

Das Problem war, dass aus dieser Idee keine Diskussionen über die Verteilung von Land und Vermögen folgten. Die letzte offizielle Statistik zeigt, dass 55% der schwarzafrikanischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben. Die liegt in Südafrika extrem niedrig, bei 2500 Rand, umgerechnet etwa 150 Euro.

Wie wird die Idee der „Regenbogennation“ heute wahrgenommen?

Die meisten der gegenwärtigen Arbeiten am Theater setzen sich mit ihrem Scheitern auseinander. Die Künstler dekonstruieren die sehr intakte Form, die sie im Symbol des Regenbogens besitzt. Viele der Produktionen spielen um diese Form herum und bringen sie durcheinander. Zu stören ist das Hauptelement.

Das ließe sich über europäisches Theater vermutlich auch sagen. Worin liegt die speziell südafrikanische Komponente?

In der Intensität. Sehr oft sehen Leute diese Intensität und sind sich nicht sicher, woher sie kommt. Manche denken, das eine oder andere sei übermäßig pathetisch, übertrieben in irgendeiner Hinsicht. Ich habe auch viele Arbeiten in verschiedenen Teilen Europas gesehen und mich selbst an die Kühle gewöhnt, die den dortigen postmodernen und poststrukturalistischen Arbeiten zugrunde liegt. Die Hitze in den Arbeiten vieler südafrikanischer Künstler hingegen stammt daher, in eine Situation gepresst zu sein, in der die Regenbogen-Idee sie dazu zwingt, sich auf eine bestimmte Art und Weise anständig zu verhalten. Jede Farbe hat im Regenbogen ihren festen Platz. Aber wenn das Leuten geschieht, ohne dass sie gleichzeitig echte Menschenrechte haben, flippen sie aus.

Was sind die politischen Aussagen, die in dieser „Hitze“ entstehen?

Das beim Publikum erzeugte Gefühl des Unbehagens ist nicht nur künstlerische Selbstgenügsamkeit, sondern zutiefst politisch. Die Regenbogen-Idee, schön und korrekt zu reden, hat sich aufgelöst. Daher die Idee, Regenbogen zu „jagen“ („to chase“). Vielleicht hört dann endlich mal jemand zu.

Stechen Produktionen von „Chasing Rainbows“ aus dieser Tendenz heraus?

Boyzie Cekwana mit „The Last King of Kakfontein“, zum Beispiel. Diese Arbeit ist sehr kühl, fast abgekoppelt von der Welt. Der Begriff „Trägheit“ drängt sich dabei auf. Aber auf ihre Art ist natürlich jede der Arbeiten verschieden von den anderen, das sind alles sehr weit entwickelte Künstler, die ihr eigenes Vokabular geschaffen haben. Die Hitze liegt eher in der Tiefe des Gefühls, nicht in einem festen Stil, nicht nur im Brüllen und Schreien.

Was macht die gegenwärtige südafrikanischen Szene für ein internationales Publikum so interessant, dass man ihr bei Spielart eine eigene Reihe gewidmet hat?

Das müssen Sie mir sagen! In den vergangenen fünf Jahren ist der Regenbogen immer schneller verblasst. Und dann sind die Dinge einfach auseinander gefallen. Aus diesem Bruch heraus erschaffen viele Künstler heute Arbeiten, die extrem ehrlich, direkt und innovativ sind. Ich glaube nicht, dass es unbedingt diese gesellschaftlichen Brüche sind, die gute Kunst erschaffen, aber sie erzeugen die Notwendigkeit einer besser Artikulation. Wir dachten, wir hätten Anfang der Neunziger, mit dem Ende der Apartheid und der Regenbogen-Idee, eine Artikulationsform gefunden, aber die heutige Dringlichkeit, die Äußerung einer Krise, sind zu wichtigen Bekenntnissen für die ganze Welt geworden. Verschiedene Gemeinschaften, auch in den USA und Europa, wenden sich von „verbindenden“ Narrativen ab.

Welche Fragen sollten die Münchner Besucher im Kopf behalten, wenn sie sich Arbeiten südafrikanischer Künstler ansehen?

Sie sollten nicht vergessen, was für ein ausgeklügeltes Konzept der Kolonialismus ist. Sie sollten nicht vergessen, was für ein ausgeklügeltes Konzept die Apartheid ist. Und Sie sollten auch nicht vergessen, wie die Regenbogen-Nation versucht hat zu überleben, mit einem Ansturm dagegen, und gescheitert ist. Sie sollten versuchen, in diesem Bruch der Form eine Sprache zu lesen, mit der man verschiedene Katastrophen auf der ganzen Welt besser versteht, die erst noch artikuliert werden müssen.

Jay Pather ist Professor an der University of Cape Town, Leiter des Gordon Institute for Performing and Creative Arts und künstlerischer Leiter der Tanz-Company Siwela Sonke. Er hat „Chasing Rainbows“ gemeinsam mit Sophie Becker kuratiert.

 

 

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